Kambodschas Wirtschaft wächst – aber nur die Fassade glänzt

21. März 2011

Steigende Exporte und eine gute Ernte haben dafür gesorgt, dass Kambodscha 2010 ein Wirtschaftswachstum von 6,7% verzeichnen konnte. Laut Weltbank soll das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes dieses Niveau auch im laufenden Jahr halten und um 6,5% auf insgesamt rund 12,7 Mrd. USD steigen. In dem durch die Weltbank turnusgemäßen Halbjahresupdate werden vor allem die vier Säulen der kambodschanischen Wirtschaft angesprochen. In der Landwirtschaft sind die allermeisten Menschen beschäftigt, in der Regel als Selbstversorger mit eigenen Reisfeldern. Viel Überschuss, der exportiert werden könnte, wird zwar nicht produziert, aber ein Wachstum von 5,3% im letzten Jahr deutet zumindest auf eine positive Tendenz hin. Die Nummer eins im Außenhandel bleibt dagegen die Bekleidungsindustrie, die 2010 mit einem Wachstum um 24% nur noch minimal unter dem Stand vor der weltweiten Wirtschaftskrise steht. Die Schuhproduzenten steigerten ihre Umsätze gar um 60%. In beiden Industrien wurden rund 55.300 Jobs neu geschaffen, womit die Verluste der beiden vorangegangenen Jahre beinahe komplett wettgemacht wurden.

Auch der Tourismussektor zog wieder an: 2,5 Mio. Touristen (plus 16%) sorgten für Einnahmen in Höhe von 1,8 Mrd. USD (plus 14%). Als Gründe für die allgemeine internationale Attraktivität Kambodschas werden von der Weltbank das Wirtschaftswachstum in Asien (wo insgesamt 72% aller ausländischen Touristen herkommen), der günstige US-Dollar (was die Wettbewerbsfähigkeit erhöht) und strukturelle Verbesserungen  (etwa Exporterleichterungen, die die EU den ärmsten Ländern der Welt gewährt) genannt.

Dagegen hat die Baubranche nicht mit ganz so guten Nachrichten geglänzt, in den letzten beiden Jahren waren viele Projekte unter- und abgebrochen worden. Erschwert wird eine Erholung vor allem durch die relativ geringe Bereitschaft in der Kreditbewilligung, was viele Investoren zu erhöhtem Eigenkapital zwingt. Das Kredit-Einlagen-Verhältnis beträgt nahezu gleich bleibend 74% (was bedeutet, dass auf 100 USD Eigenkapital nur 74 USD Kredite vergeben werden). Laut Weltbank zeigten sich die Kreditabteilungen der Banken nicht gerade spendierfreudig und investierten vor allem in Projekte mit reduziertem Risiko (insbesondere für den Einzel- und Großhandel, gastronomische und touristische Dienstleistungen und das produzierende Gewerbe); dabei müssen im Schnitt 15% Zinsen gezahlt werden. Gleichzeitig erholte sich allerdings die Liquidität der Banken durch einen Anstieg der Spareinlagen auf 4,3 Mrd. USD.

Profitiert hat Kambodscha zweifellos von einem Zunahme der ausländischen Direktinvestitionen, die um fast 22% auf 622 Mio. USD anstiegen. Allerdings wird es wohl noch bis 2012 dauern, bis das Volumen des Rekordjahres 2007 wieder erreicht wird. Auch der Geldfluss über Verschuldung im Ausland wuchs 2010 weiter an und beträgt nun gut 3,5 Mrd. USD (plus 15%). Die Inflation sank auf lediglich 3,1%, soll im laufenden Jahr aber wieder auf rund 5% anziehen. Der Riel notiert im Wechselkurs zum US-Dollar seit Jahren konstant; auch 2010 erhielt man für etwas mehr als 4000 Riel einen Dollar.

Kambodschas Handelsbilanz bleibt allerdings chronisch negativ. Nach den vorläufigen Schätzungen wurden 2010 Güter und Dienstleistungen im Gesamtwert von knapp 5,2 Mrd. USD exportiert, während im selben Zeitraum für 6,8 Mrd. USD importiert wurde. Der Saldo liegt mit minus 1,6 Mrd. USD zwar noch unter dem Rekordjahr von 2008, dürfte in den nächsten Jahren aber wieder deutlich zulegen.

Diese recht positiven Zahlen sollen allerdings keinesfalls über die immensen wirtschaftlichen Probleme Kambodschas hinwegtäuschen. Von den Wachstumsraten profitiert nur eine kleine Minderheit, während sich der Großteil der Bevölkerung, wenn überhaupt, nur langsam aus der Armut befreit. Die Arbeitslosenrate wird zwar nicht seriös ermittelt, liegt aller Wahrscheinlichkeit aber in astronomischen Höhen jenseits der 30%-Marke. Die angesprochenen Exporterleichterungen, die die Europäische Union über das „Alles außer Waffen“-Programm ermöglicht, hat in Kambodscha in erster Linie die Zuckerproduzenten auf den Plan gerufen, die sich das Land für ihre Plantagen vor allem bei den dort ansässigen Bauern aneignen. Gestützt durch willfährige Polizei- und Militäreinheiten, voreingenommene Gerichte und gute Kontakte zur Regierung (der oberste Zuckerproduzent Ly Yong Phat sitzt für die regierende Kambodschanische Volkspartei sogar im Senat und ist dadurch vor Strafverfolgung geschützt) werden die Menschen von ihrem Land vertrieben und höchstens zu einem Bruchteil des eigentlichen Besitzwertes entschädigt.

Solche Geschäftspraktiken sind allerdings nur eine Facette der endemischen Korruption in Kambodscha, die – ohne zu übertreiben – so etwas wie ein Regierungsprinzip und wichtiges Staatsziel darstellt. Ökonomisch bedeutet das meist, dass erwirtschaftete Gewinne erst gar nicht zur Bevölkerungsmehrheit durchdringen, sondern durch korruptive Praktiken von wenigen Profiteuren absorbiert werden – man kann auch sagen in ihre privaten Taschen umverteilt werden. Dieses grundsätzliche Prinzip der Gewinnabkoppelung wurde zuletzt im September 2010 deutlich, als zahlreiche Näherinnen der Bekleidungsindustrie erfolglos für geringfügig höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streikten.

Die Asiatische Entwicklungsbank hat 2007 Daten vorgelegt, die beweisen, dass in keinem anderen untersuchten Land in Südostasien das Missverhältnis in der langfristigen Einkommensentwicklung zwischen den ärmsten und den reichsten Einwohnern so extrem ausgeprägt ist wie in Kambodscha (siehe „Kambodscha unter Hun Sen“, S. 230). Auch absolut legten die ärmsten 20% in den Pro-Kopf-Ausgaben innerhalb von elf Jahren insgesamt nur um knapp 7,9% zu – kein anderes Land der Region erreichte auch nur annähernd so niedrige Werte. Und schlussendlich erfolgt ein nicht unbeträchtlicher Teil des Wachstums auch durch die Plünderung natürlicher Ressourcen, vor allem im Bezug auf die Bodenschätze und den tropischen Regenwald. Nachhaltige Entwicklung, so oft sie auch postuliert wird, bleibt in Kambodscha nach wie vor eine Utopie.

Gute Wirtschaftsdaten lassen also höchstens die Aussage zu, dass die Reichen in Kambodscha immer reicher werden. Sie sind jedoch kein Gradmesser für eine allgemein positive Entwicklung, sondern exemplifizieren vielmehr, welche extremen hausgemachten Probleme das Land mit sich herumschleppt, die einer effektiven Armutsbekämpfung diametral entgegenstehen. Und Besserung ist nicht in Sicht – egal, wie viel bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit geleistet wird.

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