Ein Kommentar von Markus Karbaum
Der 11. August 2011 kann in die Geschichtsbücher eingehen, dieses Datum hat das Potential, später einmal als Ausgangspunkt für die Durchsetzung der Menschenrechte in Kambodscha historische Tragweite beigemessen zu bekommen. Man mag sich nur die Freude und Erleichterung all jener Menschen am Boeung Kak ausmalen, die gegen so viele Widerstände lange um ihre Existenz gekämpft hatten. (Existenzkampf – wer kennt so etwas eigentlich noch in unserem deutschen Wohlfahrtsstaat?) Sie standen praktisch vor dem Ruin, herbeigeführt durch eine gierige und völlig skrupellose Elite, die die politische wie wirtschaftliche Führung Kambodschas für sich beansprucht. Sie haben durchgehalten, und dafür gebührt ihnen unser ganzer Respekt, unsere Hochachtung.
Doch in diesem Moment sei auch an all jene gedacht, die – verständlicherweise – nicht die Kraft hatten, sich jahrelang gegenüber Einschüchterungen und Gewaltandrohungen zu behaupten und ihr Eigentum weit unter Wert verkaufen mussten. Eben jene, die aufgrund der Lage ihrer Häuser als erste unter den Sandaufschüttungen begraben oder von den entstandenen Flutwellen praktisch ertränkt wurden. Für sie kommt diese Lösung zu spät, für einige tragischerweise lediglich um wenige Tage. Auch an sie müssen wir denken und können aus der Entfernung doch nur hoffen, dass sich ihr Leid irgendwie in Grenzen hält.
Keine Frage: Es war das Ultimatum der Weltbank, die das Entgegenkommen der Regierung erst möglich machte. Genauso solch ein Sachbezug – Geld und Entwicklungshilfe nur bei Achtung der Menschenrechte – war seit Jahren gefordert worden und verhallte doch ungehört. Hunderttausende sind land-grabbing und anderen Menschenrechtsverletzungen bereits zum Opfer gefallen, sei es physisch, psychisch oder zunächst „nur“ monetär und materiell. All die Jahre hielten die internationalen Partner der bi- wie multilateralen Entwicklungshilfe die Augen vor zahlreichen dieser Menschenrechtsverletzungen verschlossen. Vielleicht waren sie in den Augen der „Lords of Poverty“ nur Kollateralschäden, wenn sie überhaupt wahrgenommen wurden. Wie viele Menschenrechtsverletzungen hätten vermieden werden können, wenn man nicht schon eher dieses Mindestmaß an Empathie gezeigt hätte, was einige wohl sicherlich schon bald als Zivilcourage verklären werden!
Es war nie umstritten, dass das derzeitige Regime jahrelange durch westliche Entwicklungshilfe gestützt wurde. Was damit indirekt gefördert und toleriert wurde, lies sich praktisch täglich in den englischsprachigen Zeitungen lesen. Man kann dem zugute halten, dass angesichts der historischen Bürde das Ergebnis nicht das schlechteste ist – Kambodscha war schließlich einer der Staaten, für den Anfang der 90er Jahre der Begriff failed state erfunden wurde. Doch die Appeasement-Politik in Menschenrechtsfragen ist gescheitert, sie musste scheitern. Es war (und ist) ein Kampf gegen Windmühlen, vollführt durch die Apologeten dieser völlig verfehlten Appeasement-Politik, die nicht zuletzt auch aus Europa heraus noch heute in Kambodscha propagiert wird.
Warum, so haben sich viele in den letzten zehn Jahren so häufig gefragt, sollen Regierungsvertreter Kambodschas Aspekte wie effektiver Menschenrechtsschutz, liberale Demokratie, Gewaltenteilung und good governance überhaupt als wertvoll und erstrebenswert erachten, wenn unsere politischen Entscheidungsträger und Technokraten sich dafür höchstens halbherzig einsetzen und damit suggerieren, dies alles sei zweit- oder gar drittrangig? Sie haben das Gute nicht gewollt und das Schlechte erreicht, was für eine Leistung! Sie haben auf „Menschenrechtsdialoge“ gesetzt und selbst noch nach Jahren nicht begriffen, dass sie einen Monolog führen, der schon bei Beginn in diplomatischen Floskeln erstarrt war und in mutwilliger Unverbindlichkeit als Schaufensterpolitik herhielt, die jene Steuerzahler – wahlweise auch Querulanten – in der Heimat hypnotisieren sollte, die zu Recht den Ausverkauf unserer Werte befürchten.
Es geht im Fall Boeung Kak nicht um die Regierung Kambodschas, und jegliches Triumphgeheul wäre im Moment nicht nur deplatziert, sondern fraglos auch kontraproduktiv. Es geht um die Menschen vor Ort, die unter Menschenrechtsverletzungen und Missachtung von Eigentumsrechten fundamental zu leiden haben – an allererster Stelle. Danach geht es um jene, die von mandatiert wurden, treuhänderisch unsere Steuergehälter einzusetzen und unseren Werten Geltung zu verschaffen. Die Weltbank hat die Tür für einen Paradigmenwechsel geöffnet, durchgehen müssen andere aber auch.
Unsere Verantwortung ist es darauf zu achten, dass sie nicht wieder zugeschlagen wird. Sonst wird aus dem historischen Potential schnell eine Fußnote der Geschichte. Doch Hoffnung ist jetzt da, endlich.