Sam Rainsy will am 9. November nach Kambodscha zurückkehren. Zumindest die Regierung nimmt diese Ankündigung ernst und füllt die Gefängnisse mit Oppositionellen. Derweil schaut die Bundesrepublik Deutschland nicht tatenlos zu – agiert aber ganz anders, als man erwarten könnte.
Das Datum ist sorgsam gewählt: Der 9. November ist nicht nur Kambodschas Unabhängigkeitstag (1953), sondern durch den Fall der Berliner Mauer (1989) auch international ein symbolträchtiger Tag für die Befreiung von Unrecht und Unterdrückung. Und 2019 soll nun ein weiteres Narrativ hinzukommen: Oppositionsführer Sam Rainsy will nach Kambodscha zurückkehren, wo er als politische persona non grata zu mehr Jahren Haft verurteilt wurde, als man noch nachvollziehen kann.
Seit vier Jahren nicht mehr in der Heimat
Zuletzt war er im November 2015 in seiner Heimat. Mit seiner enormen Popularität gilt er seit zwei rund Jahrzehnten als einziger ernstzunehmender Herausforderer von Premierminister Hun Sen, der das Land seit 1985 regiert, seit 2018 mit einem Ein-Parteien-Parlament im Rücken. Denn Sam Rainsys Partei Cambodia National Rescue Party (CNRP) wurde 2017 per Gerichtsurteil aufgelöst – sie wurde quasi Opfer ihres eigenen Erfolgs, da sie selbst in nur halbwegs freien und fairen Parlamentswahlen ein gutes halbes Jahr später Hun Sen’s Cambodian People’s Party (CPP) wohl geschlagen hätte. Das wusste Kambodschas Diktator nur zu gut und entledigte sich letztendlich ohne nennenswerten Widerstand seiner Widersacher.

Kommt er oder kommt er nicht zurück? Sam Rainsy, hier während eines Auftritts am 17. Oktober in Zürich, hat zumindest angekündigt, nach vier Jahren wieder in seine Heimat zu reisen.
Während Hun Sen also unangefochten wie nie im Sattel sitzt und weiter die mittel- oder langfristig geplante Machtübergabe an seinen ältesten Sohn Hun Maneth weiter einfädeln kann, sorgt die angekündigte Rückkehr des eigentlich schon als politisch erledigt angesehenen Oppositionsführers für eine kaum für möglich gehaltene Unruhe. Denn Rainsy hatte in den letzten Jahren nicht nur Sympathisanten erheblich enttäuscht (weil er lieber im Ausland weilte als Hun Sen in Kambodscha die Stirn zu bieten), sondern sich auch mit dem Kem Sokha-Flügel seiner Partei überworfen. Denn die CNRP stand seit ihrer Gründung 2012 nie allein auf seinen Schultern, sondern war ein Zusammenschluss zweier liberaler Parteien mit Sam Rainsy als Präsident und Kem Sokha als sein Vize. Der wiederum zog es vor, in Kambodscha zu bleiben, wo er seit September 2017 Hun Sen als politische Geisel dient – erst ein Jahr in Untersuchungshaft, seitdem im strengen Hausarrest. Ohne Gerichtsurteil, versteht sich.
Brachialkritik aus den eigenen Reihen
Die CNRP existiert seit ihrer Auflösung in Kambodscha noch als loser Zusammenschluss von Exilpolitikern, die Sam Rainsy nahestehen. Seit der Auflösung in Kambodscha gibt sie ein durch und durch trostloses Bild ab, da das interne Zerwürfnis zunehmend in die Öffentlichkeit getragen wird. Nicht nur Hun Sen, sondern auch ehemalige Verbündete gehen in außerordentlicher Schärfe mit Rainsy ins Gericht. Allen voran Kem Monovithya, eine in den USA lebende Tochter von Kem Sokha und stellvertretende Pressesprecherin der CNRP, griff nun zu sehr drastischen Worten, um Sam Rainsy zu verunglimpfen.
Die angekündigte Rückkehr am 9. November sei lediglich ein PR-Gag, um weiter im Gespräch zu bleiben. Er halte Medien wie Öffentlichkeit zum Narren, wobei seine politische Karriere längst zu Ende sei. „(A) lack of commitment, his ego-driven impulses, and more importantly his lack of strategic vision, has enabled Hun Sen to end his political life already, worse, it has also enabled Hun Sen to stay in power.” Massiver können öffentlich vorgetragene Vorwürfe aus der eigenen Partei jedenfalls nicht sein.
„Staatsstreich“ vs. „Volksaufstand“
Da Sam Rainsy schon in der Vergangenheit mehrfach vollmundig angekündigt hatte, in seine Heimat zurückzukehren, ohne entsprechende Taten folgen zu lassen, trauen ihm auch jetzt nur wenige Beobachter zu, diesen gefährlichen Schritt zu wagen – schließlich ist seine Freiheit arg gefährdet, vielleicht sogar seine körperliche Unversehrtheit, wenn er nur einen Fuß auf kambodschanisches Territorium setzt. Nur die Regierung nimmt die Ankündigung mehr als ernst. Zur Abschreckung sitzen wieder dutzende Anhänger in Gefängnissen, die aktuelle Zahl liegt bei 53 inhaftierten Personen (Stand: 22. Oktober), weswegen die angekündigte Rückkehr mehr als nur ein Sturm im Wasserglas ist. Und jedem, der in die Rückkehr „involviert“ sei, drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, Beamten sogar lebenslänglich. Regierungssprecher werden nicht müde, Sam Rainsy als Kriminellen darzustellen, und selbst Hun Sen spricht schon von einem geplanten Staatsstreich. In der Tat verbindet Rainsy seine Rückkehr mit einem Volksaufstand, den er anführen möchte, um die Demokratie in Kambodscha wiederherzustellen und der zur Verhaftung Hun Sens führen solle.
Wie das praktisch funktionieren soll, bleibt indes schleierhaft. Die naiv anmutende Planung sieht wohl vor, Kambodscha auf dem Landweg von Thailand aus zu erreichen, bestenfalls mit zehntausenden dort lebenden kambodschanischen Arbeitsmigranten, die ebenfalls ihres Regierungschefs überdrüssig seien. Vom Westen dann, so scheint es, träumt Rainsy wohl von einem Marsch auf Phnom Penh, dem sich – einem Tsunami gleich – immer mehr Landsleute inklusive Angehörige der Streitkräfte anschließen und der in einer triumphalen Ankunft in Phnom Penh gipfeln solle. Dummer Weise dürfte der Plan schon ganz am Anfang scheitern, da die Thais – genauso wie die Vietnamesen und Laoten – Rainsy wohl erst gar nicht ins Land einreisen lassen werden (oder den von Kambodscha an alle ASEAN-Staaten versandten Haftbefehl gegen ihn exekutieren). Mu Sochua, stellvertretende CNRP-Präsidentin, hat das erst gerade zu spüren bekommen, als ihr am Flughafen Bangkok die Einreise nach Thailand verweigert wurde.
Schlechtes Bild im westlichen Ausland
Wie könnte es also weitergehen? Sam Rainsy könnte schon einen moralischen Sieg davon tragen, wenn er weiterhin alles versucht, zurück nach Kambodscha zu kommen, er letztendlich aber an der Einreise gehindert wird, zum Beispiel dadurch, dass einem Flugzeug mit ihm an Bord schlichtweg die Landeerlaubnis verweigert wird. In diesem Fall dürfte er Hun Sen als Feigling bezichtigen – ein Vorwurf, der in den letzten Jahren häufig auf ihn gemünzt wurde. Das Regime wiederum hat nicht viel zu gewinnen. Sam Rainsy hat zumindest schon erreicht, dass Kambodschas Regierung – wieder einmal – nach außen hin kein gutes Bild abgibt. Die jüngste Verhaftungswelle wird nicht gerade dazu beitragen, den im Raum stehenden Verlust von Handelspräferenzen für den europäischen und amerikanischen Markt abzuwenden. Ganz im Gegenteil bringen zwei amerikanische Abgeordnete vorsorglich Sanktionen gegen Hun Sen und seine Entourage ins Gespräch, falls es zur Gewaltanwendung gegenüber Sam Rainsy und seinen Anhängern käme.
Und Deutschland? Die Bundesrepublik gibt wie in anderen Krisenregionen auch im Fall Kambodschas kein gutes außenpolitisches Bild ab. Erst Ende September führte Innenminister Sar Kheng eine hochkarätig besetzte Delegation nach Deutschland, die sich immerhin im Auswärtigen Amt Fragen zu Partizipationsmöglichkeiten kambodschanischer Oppositioneller gefallen lassen musste. Doch das will nichts heißen, schließlich wird die deutsche Außenpolitik gegenüber Kambodscha vom Entwicklungshilfeministerium bestimmt. Und dort steht man, schon aus politischem und wirtschaftlichem Eigeninteresse, seit mehr als 20 Jahren fest an der Seite Hun Sens. So ist es kaum verwunderlich, dass sich die Bundesregierung bisher nicht kritisch zur größten Verhaftungswelle in Kambodscha seit Jahren geäußert hat.
Deutschland rollt Ex-Rotem Khmer den roten Teppich aus
Ganz im Gegenteil herrscht in der Welt der deutschen Entwicklungshilfe derzeit eitel Sonnenschein. In der baden-württembergischen Gemeinde Mutlangen, wo Sar Kheng Ende September im Rahmen seines Deutschland-Aufenthalts kurz weilte, wurde der ehemalige Offizier der Roten Khmer von Fahnen schwenkenden Kindern und einer fast vor Stolz platzenden Bürgermeisterin empfangen. Ein „Hauch von DDR“, wie mir ein guter Freund schrieb. Mit dabei war auch Norbert Barthle, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, und weitere Beamte seines Hauses, die den Innenminister und stellvertretenden Premierminister begleiteten.
Heute zitiert die Khmer Times Sar Kheng übrigens mit dem Satz: “Sam Rainsy’s arrival aims to create war.“ Das müssen sich Politiker in Kambodscha also nachsagen lassen, wenn sie Demokratie beim Wort nehmen und von ihrem in der Verfassung garantierten Recht der politischen Partizipation Gebrauch machen wollen. Und wie man einen Krieg gegen einen innenpolitischen Gegner gewinnt, weiß niemand besser als Sar Khengs Chef Hun Sen.