Ist der Ruf erst ruiniert…

Sam Rainsy ist trotz eindeutiger Ankündigungen bisher nicht nach Kambodscha zurückgekehrt. Es sieht danach aus, als sei er wieder einmal an sich selbst gescheitert. Trotzdem ist die letzte Messe wohl immer noch nicht gelesen.

Sam Rainsy (m.) am 14. November am Flughafen in Jakarta. Ein Flug nach Kambodscha ist derzeit nicht geplant.

Zwei Zitate von Sam Rainsys Facebook-Profil gefällig? Bitte schön… Am 8. September 2019 schrieb er: “Sam Rainsy confirms that, on 9 November 2019, he will end a four-year exile for the second time in the 2010s.” Und am 31. Oktober 2019 teilte er mit: “Sam Rainsy’s appeal in English to the international community before his arrival in Cambodia on 9 November 2019. ‘This may be the last time that you see me alive, or as a free man (…). I am prepared to sacrifice my freedom — and even my life — to give democracy a chance, to help ensure freedom for my unfortunate people.’”

Die Botschaft war eindeutig und unmissverständlich: Ich werde zurückkehren. Nicht: Ich werde vielleicht zurückkehren. Oder: Ich bemühe mich um eine Rückkehr. Oder: Ich werde alles daran setzen, bald nach Kambodscha zurückzukehren. Nein: Ich werde zurückkehren. Und zwar am 9. November. Nicht alle haben diese Ankündigung ernst genommen, zu häufig hatte er schon dieses Versprechen gegeben und gebrochen. Man konnte es also als letzten Versuch begreifen, die eigene Reputation, Integrität und Glaubwürdigkeit, allesamt mittlerweile arg ramponiert, zu retten.

An sich selbst gescheitert

Sam Rainsy ist kläglich gescheitert, an Langzeitdiktator Hun Sen und an sich selbst. Erst verwehrte ihm Thai Airways am 7. November am Pariser Flughafen Charles de Gaulle die Mitnahme nach Bangkok. Die Regierung in Phnom Penh hatte die südostasiatischen Nachbarstaaten soweit instruiert, dass Sam Rainsy schon dort hätte abgefangen werden sollen. Der Oppositionsführer sollte möglichst ferngehalten werden – eine durchaus fragwürdige Art der Konfliktlösung, durch die das Regime ein jämmerliches Bild abgab. Wie auch immer, eine Einreise nach Thailand, von wo aus Sam Rainsy über Poipet in seine Heimat zurückkehren wollte, war kaum noch vorstellbar, zumal die Regierung das Aufgebot an schwerbewaffneten Sicherheitskräften deutlich erhöhte.

Sam Rainsy muss das klar gewesen sein, dass er über Thailand keine reelle Chance für eine Rückkehr hat. Dagegen wäre eine Einreise über Hongkong, Japan oder Südkorea weitgehend sicher gewesen, denn dort hätte man sich dem Ansinnen Hun Sens nicht gebeugt. Ergo: Wenn er wirklich am 9. November hätte zurückkehren wollen, hätte das auch funktioniert. Anstatt dessen ereilte ihn der vorläufig größte Rückschlag am eigentlichen Tag seiner geplanten Rückkehr: Da erklärte die Regierung in Phnom Penh, dass er durchaus nach Kambodscha zurückkehren könne. Die de-facto Abschirmung durch die Nachbarstaaten war somit aufgehoben.

Rückkehr „irgendwann“, wenn ihm andere die Arbeit abgenommen haben

Ein Rückschlag war es deswegen, weil das bevorzugte Narrativ nicht mehr aufrechterhalten werden konnte: Ich kann nicht zurückkehren, weil Hun Sen mich nicht lässt. Aber ich habe alles versucht. Jetzt konnte er – und tat es nicht. Anstatt dessen verbrachte er einige Tage in Kuala Lumpur (Malaysia), ehe er am heutigen Donnerstag nach Jakarta (Indonesien) weiterreiste. Auf die Frage von Journalisten, wann er denn nun nach Kambodscha zurückkehre, antwortete er: „Irgendwann.“

Leicht zu verstehen ist das nicht, zumindest mit halbwegs rationalen Maßstäben. Hilfreich ist vor allem ein Blick auf Sam Rainsys politisches Selbstverständnis und strategisches Unvermögen. Denn die Strategie bestand stets darin, dass jemand anderes die Diktatur in Kambodscha beenden würde. Häufig schob er die Verantwortung der „internationalen Gemeinschaft“ (als ob es die gäbe) zu, und im Mai 2019 kündigte er seine Rückkehr an, sobald sich die Kambodschaner gegen Hun Sen erhoben haben. Er bestand also darauf, dass andere die eigentliche Arbeit für ihn übernehmen – eine Rückkehr quasi nur mit rotem Teppich.

Die Irrtümer eines politischen Dilettanten

Vielleicht entspringt es einer für Politiker typischen Hybris, dass er davon ausging, dass zumindest eine der beiden Hilfestellungen rechtzeitig vor dem 9. November parat stehen würde. Was für ein kolossaler Irrtum! Einerseits war es schon rein organisatorisch völlig unmöglich, im autoritären, von Spitzeln und Informanten nur so wimmelnden Kambodscha ohne Führungspersönlichkeiten vor Ort auch nur ansatzweise einen Aufstand auf die Beine zu stellen. Andererseits taten ihm auch westliche Diplomaten nicht den Gefallen, rechtzeitig mit Hun Sen eine politische Lösung zu entwickeln. In diesem Wunschdenken unterschätzte Sam Rainsy nicht nur die diplomatischen Möglichkeiten vor allem der EU, sondern offenbarte gleichzeitig seinen ganzen politischen Dilettantismus. Schließlich hätte er doch erkennen müssen, dass diese Unterstützung ausblieb.

Dass man einen solchen instinktlosen Gernegroß, der selbst mit der Führung der CNRP weitgehend überfordert ist, nicht an der Spitze einer Regierung sehen möchte, liegt auf der Hand. Aber trotz allem ist seine Karriere immer noch nicht zu Ende, entgegen anderer Einschätzungen. Und es sind dieselben Ursachen, die dazu führen, dass sich Hun Sen seit fast 35 Jahren im Amt hält: Die ausgeprägte Fähigkeit der Kambodschaner zu Gehorsam und Unterwürfigkeit. Das strikte Einhalten von Hierarchien. Die Unterwerfung unter ein Patronat. Die Unfähigkeit, einen Führer in Frage zu stellen, geschweige denn, ihn durch einen anderen zu ersetzen. Insofern ist Sam Rainsy immer noch nicht ganz aus dem politischen Geschäft, obwohl sein Abgang eigentlich überfällig ist.

Trotzdem bewegt sich was

Und wer weiß, was sich in den nächsten Tagen noch so tut. Am Samstag, dem Tag der Nicht-Rückkehr, wurde Kem Sokha, der mit Sam Rainsy die Opposition vereinigt hatte, aus dem Hausarrest entlassen. Er befand sich 26 Monate im Würgegriff des Regimes und wirkte wie ein Pokerchip, der in einem zynischen Spiel im richtigen Moment zum Einsatz kommen würde. Der war nun also gekommen, und Kem Sokha hat gleich schon zahlreiche internationale Botschafter getroffen. Allerdings darf er sich politisch nicht betätigen und Kambodscha nicht verlassen. Man will ihn wohl von Sam Rainsy fernhalten – vielleicht spekuliert das Regime sogar darauf, dass die massiven Risse zwischen beiden Spitzenpolitikern nun bald zu einem endgültigen Bruch führen. Teile und herrsche.

Außerdem sollen die rund 70 politischen Gefangenen vorerst auf freien Fuß gesetzt werden. Hintergrund dessen ist ein 70-seitiger Bericht der EU im Rahmen des Prozesses zur Suspendierung der Handelsprivilegien für Kambodscha. Der ist zwar vertraulich, aber erste Details sind bereits durchgesickert. Demnach dürfte der Inhalt des Berichts das Regime alles andere als hoffnungsfroh stimmen. Im Februar will die EU dann die finale Entscheidung treffen.

Es ist also gerade einiges im Gange. Selbst der Fall Sam Rainsy könnte noch eine Wendung nehmen. Darauf hoffen muss man aber auch als überzeugter Demokrat nicht.

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