Was nun, großer Zampano?

Hun Sen am 25. März 2020, offenbar bei bester Gesundheit. Links im Bild sitzt Hun Manet, ältester Sohn des Premierministers und angeblich auserkorener Nachfolger seines Vaters. Bild: CoM

Die Welt taumelt. Und auch wenn sich bisher nur wenige Khmer mit COVID-19 infiziert haben, schaut Kambodscha in den Abgrund. Alles blickt nun auf Regierungschef Hun Sen, obwohl er ohnmächtiger kaum sein könnte.

Fangen wir mit den guten Nachrichten an: Nach Angaben der Johns Hopkins-Universität gibt es in Kambodscha bisher nur 99 positiv auf COVID-19 getestete Personen und keinen Todesfall (Stand: 28. März, 17 Uhr MEZ), von denen mehr als die Hälfte Ausländer sind. Auch wenn Kindergärten, Schulen, Universitäten sowie Kinos und Karaoke-Bars mittlerweile geschlossen sind, ist das Land weit von europäischen Verhältnissen entfernt. Mit Blick auf das von der Politik lange vernachlässigte Gesundheitswesen muss man darüber heilfroh sein. Warum Kambodscha, das in einem engen Austausch mit China steht, vom Virus bisher weitgehend verschont geblieben ist, erscheint unklar; das tropische Klima, vielleicht aber auch genetische Dispositionen könnten ausschlaggebend sein. Aber an hohen hygienischen Standards oder einer erfolgreichen Begrenzung sozialer Kontakte liegt es wohl eher nur bedingt.

Das ist aber schon fast alles. Kambodscha steht wie viele andere Ländern der Welt vor der Erkenntnis, dass ein Lock Down die Verbreitung des Virus zwar verlangsamt, aber gleichzeitig erhebliche Konsequenzen für das Wohlstandsniveau nach sich zieht. Und während etwa Deutschland und die USA in der Lage sein dürften, mit wirtschaftlichen Stimuli die negativen wirtschaftlichen Konsequenzen abzufedern, sind Kambodschas Möglichkeiten eng begrenzt. Hinzu kommt die bittere Wahrheit, dass über Kambodschas Schicksal nicht in Phnom Penh entschieden wird, sondern anderswo.

Die Globalisierung gab den Wohlstand, jetzt nimmt sie ihn

Der Schlüssel des ökonomischen Aufstiegs in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten war zweifelsohne Kambodschas gelungene Integration in den Welthandel. Im Unterschied zu vielen anderen ärmsten Entwicklungsländern gibt es mit der Textilindustrie einen exportrelevanten Wirtschaftszweig, das dem Land und vielen Familien ein regelmäßiges, wenn auch bescheidenes Einkommen ermöglicht. Daneben locken Angkor und die Küste Touristen aus aller Welt ins Land. Und in dem Maße, wie die Globalisierung zum steigenden Wohlstand der Kambodschaner beigetragen hat, wird sie nun ausschlaggebend sein für den umgekehrten Weg.

Denn die beiden Hauptpfeiler der kambodschanischen Volkswirtschaft, Textilindustrie und Tourismus, drohen nun zu kollabieren. Doch noch nicht alle scheinen das begriffen zu haben: Für die Aufnahme in Grimms Märchen hat sich vor drei Tagen die Asia Devlopment Bank beworben, die 2020 für Kambodscha ein Wirtschaftswachstum von 6,1 Prozent vorhersagt. Aber wo soll das denn herkommen? Die Touristen bleiben aus, aber nicht erst seit dem Ausbruch von COVID-19. Die Krise fing spätestens schon im Herbst 2019 an, als in Siem Reap für die Jahreszeit ungewöhnlich wenig los war. Und es dürfte Jahre dauern, bis wieder das Besucherzahlen-Niveau der jüngsten Vergangenheit wieder erreicht wird. Denn auch die Chinesen waren schon im vergangenen Jahr seltener nach Kambodscha gereist als zuvor. Wann Europäer und Amerikaner wieder in quantitativ relevanten Dimensionen in die Ferne reisen, steht heute sogar noch in den Sternen. Nur weniger Dienstleister werden eine längere Durststrecke überstehen können, eine sechsstellige Zahl an Arbeitsplatzverlusten droht.

Hunderttausende Näherinnen werden ihren Job verlieren

Ähnlich katastrophale Zustände entwickeln sich in der Textilindustrie. Im Februar machten sich die ersten Vorzeichen bemerkbar, als weniger Rohmaterialen aus China nach Kambodscha geliefert wurden. Dann verkündete die Europäische Union die partielle Suspendierung von Handelsprivilegien, die der Branche außerdem zusetzte. Und nun stornieren viele Hersteller aus den etablierten Industrieländern ihre Order, weil sie selbst kaum noch etwas verkaufen können. Der überwiegenden Mehrheit der mehr als 700.000 Näherinnen droht nun der Verlust ihres Arbeitsplatzes, zumindest temporär. Da fast alle Fabriken aber in ausländischem Besitz sind, könnte es mit Blick auf die reduzierten Handelspräferenzen sein, dass einige gar nicht mehr wiedereröffnen.

Und die Konsequenzen daraus sind weitreichend: Mit ihrem Einkommen unterstützen die allermeisten Näherinnen ihre Familien im ländlichen Kambodscha, die auf dieses Geld dringend angewiesen sind. Auch in Kambodscha gibt es nun Kurzarbeitergeld in der Textilindustrie mit 60% vom Mindestlohn, der aktuell bei 190 US-Dollar liegt. Doch wie lange noch? Die Regierung will maximal 2 Mrd. US-Dollar zur Bekämpfung der Krise bereitstellen, aber dieser Betrag wird nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Und was werden die Näherinnen machen? Früher hat man sich in solchen Situationen wieder der heimischen Landwirtschaft gewidmet, aber der Arbeitskräftebedarf ist gegenwärtig nicht annährend so hoch, dass er relevant wäre. Die einzige Option bliebe noch eine Tätigkeit im Ausland, vor allem in Thailand. Aber auch das ist vorbei, die Grenzen sind geschlossen, auch für Pendler.

Kambodschanisches Neujahr könnte Virus im ganzen Land verbreiten

Nun wird sich rächen, dass die private Verschuldung in den letzten Jahren drastisch gestiegen ist. Die Krise wird dazu führen, dass immer weniger Menschen ihre Kredite bedienen können. Häufig wurden Landtitel als Sicherheit bei den Finanzinstituten hinterlegt. Ohne politische Interventionen droht eine beispiellose Verarmung von Millionen Kambodschanern. Doch die unmittelbare Entscheidung wird sich auf Khmer New Year beziehen müssen, das in diesem Jahr vom 14. bis 16. April gefeiert werden soll. Dann reisen die Khmer zurück zu ihren Familien – es wären perfekte Bedingungen zur Verbreitung des Virus im ganzen Land.

Es ist eine unpopuläre, sich bereits andeutende Entscheidung, die Hun Sen da zu treffen hat, aber wenigstens eine, die noch bei ihm selbst liegt. In den letzten Tagen hat er sich immer seltener öffentlich gezeigt, was selbst seriöse Journalisten zu Spekulationen animierte, der Premierminister habe sich mit COVID-19 angesteckt. Fakt ist aber, dass es dafür weder eine offizielle Bestätigung vorliegt noch glaubwürdige Quellen gibt. Nichtdestotrotz fordert ihn die gegenwärtige Konstellation heraus wie lange nichts mehr. Und Kritik ist angebracht. Nicht wegen Fahrlässigkeit – fast alle Politiker der Welt haben das Katastrophenpotential des Virus erheblich unterschätzt –, sondern weil er die Verantwortung für die positive Entwicklung Kambodschas seit Ende der Roten Khmer 1979 für sich allein reklamiert. Dafür hat er sich sogar ein Denkmal – Motto: „Win-Win-Policy“ – errichtet.

Sündenböcke gesucht

Diese Saga dürfte spätestens jetzt zu Ende sein. Niemand kann für sich reklamieren, im Guten für alles verantwortlich zu sein und im Schlechten für nichts. Die Propaganda wird also unweigerlich Risse bekommen, aber sie werden wohl kaum ausreichen, ihm politisch wirklich gefährlich zu werden. Denn jeder politische Gegner in Kambodscha weiß, dass sich die Lage im Land aktuell nicht verbessern wird, wenn es zu einem Sturz des Diktators käme. Zwar ist es theoretisch möglich, dass besonders Mutige auf ein baldiges Momentum warten und dann Fakten schaffen wollen. Doch dieses Szenario gilt praktisch als ausgeschlossen. Ganz im Gegenteil dürften viele Kritiker innerhalb des Regimes froh sein, dass es mit Hun Sen den großen Alleinentscheider gibt, der sie selbst aus der Verantwortung nimmt.

Nicht alle dürften aber ungeschoren davonkommen. Anscheinend sucht Kambodschas Regierungschef schon aktiv nach Sündenböcken, erstes Opfer könnte Gesundheitsminister Mam Bunheng werden. Auch nach dem Kollaps eines Gebäudes in Sihanoukville ließ Hun Sen einen der seinen öffentlichkeitswirksam fallen – was er halt tun muss, nachdem er die Opposition aufgelöst hat und nun eben nicht mehr zum Abreagieren zur Verfügung steht. Wenn er dabei aber zu weit geht, dürfte es seinen Rückhalt im Regime selbst schaden. Und da muss er sehr vorsichtig sein, schließlich ist die große Disziplin unter seiner Gefolgschaft einer der wesentlichen Erfolgsgaranten seiner langen Herrschaft.

Aber um die geht es nicht, sondern um das wirtschaftliche Überleben des ganzen Landes. In ein paar Monaten werden wir wissen, ob diese Sorgen berechtigt sind oder nicht.

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