19. Juli 2010
Was andernorts wohl eher als überflüssige Politposse kaum die Schwelle der öffentlichen Wahrnehmung überschritten hätte, hat in Kambodscha für eine weitere besorgniserregende Konfrontation gesorgt. Erneut wird die grundsätzliche Frage diskutiert, wie frei und unabhängig die Opposition in dem südostasiatischen Land überhaupt agieren kann. Dabei hätten die Protagonisten ungleicher nicht sein können: Auf der einen Seite der seit zweieinhalb Jahrzehnten unangefochten regierende Premierminister Hun Sen, auf der anderen die Parlamentsabgeordnete Mu Sochua, ehemals Frauenministerin in einer Koalitionsregierung unter Hun Sen und heute einer der führenden Köpfe der oppositionellen Sam Rainsy Partei (SRP).
Im April 2009 reichte Mu Sochua Klage gegen Hun Sen ein, da der sie öffentlich als cheung klang, eine für Frauen stark herabwürdigende Bezeichnung, beleidigt habe. Der Premierminister seinerseits konterte umgehend mit einer Verleumdungsklage. Während das zuständige Gericht die Klage wegen Beleidigung erst gar nicht zuließ, wurde Mu Sochua in einem rein politischen Verfahren zur Zahlung von 8,5 Mio. Riel Strafe und 8 Mio. Riel Entschädigung (zusammen knapp 4000 USD) an Hun Sen wegen des „erlittenen Traumas“ verurteilt. Bis zur Vollstreckung des Urteils ist bereits, für kambodschanische Verhältnisse recht unüblich, fast ein Jahr vergangen, aber bis zuletzt weigerte sich die SRP-Abgeordnete, dem Urteil nachzukommen. Sie wolle lieber ins Gefängnis gehen, so lautet stets ihre Beteuerung.
Für Hun Sen hat sich ein kaum zu kalkulierender Konflikt angebahnt, den er von Anfang an unterschätzt hatte. Zum ersten Mal in seiner politischen Laufbahn wurde er von jemandem mit weichen Mitteln – dazu noch von einer Frau – herausgefordert, wogegen er noch kein Rezept zu haben scheint. Gewiss, Mu Sochua (die auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt) ist es in den letzten Jahren wie kaum einer anderen Politikerin Kambodschas gelungen, international Interesse für ihre Sache zu fördern. Aber es waren wohl weniger ihre Kontakte zur amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton und anderen, sondern mehr die innenpolitische Wirkung, die Hun Sen so nicht vorausgesehen hatte. Zumal er überaus überrascht war: Wann hatte ihn jemand letztmalig derart herausgefordert, wo doch mittlerweile alle Kambodschaner zu wussten, dass er keinen politischen Widerspruch duldet? Seine Landsleute schienen sich in den letzten Jahren immer mehr mit seinem solitären Führungsstil arrangiert zu haben: Der Druck auf Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und unabhängige Medien war spürbar gestiegen, ohne dass es dagegen Auflehnung gegeben hatte. Die Opposition gilt seit jeher als zersplittert und zerstritten ohne realistische Aussichten zum Machtwechsel, und auch seine Kambodschanische Volkspartei (KVP) steht bereits seit einigen Jahren geschlossen hinter dem Regierungschef.
Aber dann kam Mu Sochua und zeigte ihm, dass auch seine Macht Grenzen hat – vor allem dann, wenn sie uneingeschränkt gelten soll. In letzter Zeit entwickelte sie sich zu einer charismatischen Führungspersönlichkeit auf einer Ebene mit ihrem Parteivorsitzenden Sam Rainsy. Ihre Taktik im ungleichen Kräftemessen war und ist weiterhin bemerkenswert: Sie stilisiert den Konflikt nicht nur als politische Repression gegen alles Unabhängige, Liberale und Demokratische in Kambodscha, sondern auch als Unterdrückung der Frauen. In der traditionellen kambodschanischen Gesellschaft hat sie damit viel Aufmerksamkeit und Anerkennung erfahren – und hat aufgrund ihres Mutes, dem Premierminister die Stirn zu bieten, auch Respekt beim männlichen Geschlecht erfahren.
Und diese große Popularität durfte wohl auch der Grund gewesen sein, warum Hun Sen es sich letztendlich wahrscheinlich doch nicht leisten kann, Mu Sochua ins Gefängnis zu stecken. Mit einer typischen Form der Rechtsbeugung wurde Mu Sochua am 16. Juli verkündet, dass ihre Abgeordnetendiäten solange einbehalten werden sollen, bis der Betrag zusammen und dem Urteil damit nachgekommen sei. Somit ist der Premierminister dem Konflikt noch halbwegs glimpflich entkommen, bevor es zu einer kaum kalkulierbaren Eskalation hätte kommen können. Dass diese Entscheidung noch gekippt wird (selbst der KVP-Abgeordnete Cheam Yeap hatte – äußerst ungewöhnlich – öffentlich seine Bedenken geäußert), ist eher unwahrscheinlich.
Mu Sochua, die weiterhin um die Wiederherstellung ihrer parlamentarischen Immunität kämpft, folgt weniger dem Vorbild einer Aung San Suu Kyi, mit der sie mitunter verglichen wird. Als moderne Führungspersönlichkeit pflegt sie vielmehr ihren eigenen Stil; zur unerschrockenen Anführerin einer breiten Frauen- und/oder Oppositionsbewegung ist es zwar noch ein weiter Weg, aber völlig utopisch scheint er nicht mehr zu sein. Hun Sen weiß das und wird sie fortan auf der Rechnung haben. Die nächste Konfrontation, für Mu Sochua sicherlich nicht ganz ungefährlich, kommt bestimmt.