Sprüche der Khmer

17. Oktober 2010

Alain Fressanges hat 2008 mit Unterstützung der GTZ ein kleines Büchlein aufgelegt, eine Sammlung kambodschanischer Sprüche. Es handelt sich um Sprichwörter, Redewendungen und Weisheiten, von denen die meisten erstmals der französische Arzt Adrien Pannetier 1915 niederschrieb. Einige dieser Sprüche sind heute nicht mehr gebräuchlich, was insbesondere auf die Kulturrevolution der Roten Khmer zurückzuführen ist, als gebildete Menschen systematisch ermordet wurden. Dennoch bieten sie immer noch sehr wertvolle Einblicke in die Mentalität der Khmer, obwohl uns ihre Poesie mitunter rau und fremd erscheinen mag. Im alten Blog wurden 50 Sprüche über mehrere Monate verteilt einzelnd veröffentlicht, teilweise auch mit Interpretationen, hier finden Sie nun alle auf einen Blick.

Buddha verleugnen, um ein Götzenbild anzubeten; einen Palast verlassen, um in der Wildnis zu leben; das Wort des Weisen ablehnen, um Dummheiten Glauben zu schenken.

 

Sie sagen, man bekommt drei Geisteskrankheiten: 1) von Frauen, 2) vom Alkohol, 3) vom Spiel.

 

Um das Nirwana zu erreichen, musst du deinen Geist trainieren; in einem dunklen Ort sollst Du nach einer Laterne suchen.

 

Möge die Hand, die den Baumwolltalisman darbietet, ihn ohne Bedauern geben.

 

Oft hasst der Unbedarfte den Gebildeten; der Ungebildete und Mittellose hasst den Reichen.

Mit diesem Spruch ließen sich Ansprüche zum schweigen bringen: Die recht unbelegte erste Aussage dient dazu, die zweite, für die gesellschaftliche Ordnung gefährlichere Ungleichheit besser zu verharmlosen.

 

Dass du dein Wissen nicht mit anderen teilst, macht dich zu einem Ignoranten, egal wie gebildet du bist.

 

Wenn du Menschenkinder aufziehst, achte auf ihr Herz; wenn du Tiere aufziehst, achte auf ihr Gebiss.

 

Ein Schwachkopf, der beim Reis auskratzen den Topf durchlöchert.

Dieser Ausdruck spricht die ungeahnten Fähigkeiten an, die in einem ansonsten unauffälligen Menschen stecken können. Er beschreibt etwa einen Mann, der Erfolge bei Frauen verbuchen mag, ohne dass man ihm dies zutrauen würde.

 

Du gibst an, gefallen zu sein, um liegen zu bleiben; aus einem leichten Umknicken machst du eine Verstauchung.

 

Am anderen Ufer angekommen zeigst du deinen Hintern.

Das kambodschanische Ausgangswort kuch bedeutet eigentlich Exkrement. Hiermit wird die Dreistigkeit dieses menschlichen Zuges unterstrichen.

 

Mensch, verachte den Menschen nicht.

 

Er stirbt wie eine Schlange, er lebte wie ein Frosch.

Wie es bei Khmer Sprüchen oft der Fall ist, wenn sie aus zwei symmetrischen Satzteilen bestehen, liefert der zweite Teil die Erklärung für den ersten, und kehrt hierin die westliche Logik um: Er stirbt zertreten wie eine Schlange, weil er wie ein Frosch gelebt hat, das heißt wie ein Ignorant, der zur Gesellschaft nichts beizutragen wusste.

 

Klauen wird zur Gewohnheit deiner Hand, ein Mittagsschlaf zur Gewohnheit deiner Augen, Trinken zur Gewohnheit deines Weinens und Bananen essen zur Gewohnheit deines Mundes.

 

Das gackernde Huhn ist jenes, das das Ei gelegt hat.

Der Spruch wird in einer Situation verwendet, wo jemand Beschuldigungen lautstark vorzubeugen versucht. Dieses Verhalten lenkt umso mehr den Verdacht auf ihn.

 

Hast du Alkohol getrunken, so ist deine Rede kühn.

Der Spruch ist gleichzeitig eine Warnung und ein nützlicher Hinweis auf die Eigenschaft des Alkohols, Zungen zu lockern. Tatsache ist, dass in Asien Arbeitgeber ihre Mitarbeiter gelegentlich zu entspannten Trinkrunden einladen, unter anderem um ihnen zu erlauben, sich ihr Leid von der Seele zu reden. Die Anständigkeit gebietet dann, eventuelle Frechheiten nicht zu strafen. Dennoch wird sich der Chef das Erfahrene wohl merken.

 

Es gibt weder einen Kürbis ohne zarte Mitte noch einen wahren Menschen ohne Herz.

 

Besitz bringt die Qual der Sorge um ihn; Armut bringt die Qual des endlosen Nachdenkens.

Im westlichen Denken würde man es vorziehen, die Qual der Armut im ersten Satzteil zu erwähnen, um Trost in der Tatsache zu finden, dass Geld auch nicht glücklich macht; die Khmer-Formulierung hebt das hervor, was schließlich Arm und Reich verbindet: die Qual.

 

Lieber ein Bündel Geld verlieren als das eigene Wort verraten.

Der Spruch ist in erster Linie eine Benimm-Regel des Geschäftsleben: was man im Westen per Handschlag beschließt, wird hier in seiner Konsequenz unterstrichen. Selbstverständlich erstreckt sich diese Regel auf alle Bereiche des sozialen Lebens.

 

Gewalt siegt über Gesetz.

Gewalt heißt im Khmer kamlang  und kann auch Macht bedeuten. Dieser Spruch erinnert daran, dass in Zeiten, wo die Macht des Gesetzes nicht gefestigt ist, schiere Gewalt die Gesetze diktiert.

Der Gute unterliegt, der Boshafte ist erfolgreich und erreicht ein hohes Alter.

In jeder Gesellschaft werden ähnliche Feststellungen gemacht, doch angesichts des ruhigen Ablebens des Militärchefs der Roten Khmer Ta Mok im Jahr 2006 sowie der Schwierigkeiten, den noch lebenden Kadern den Prozess endlich zu machen, klingt dieser alte Spruch besonders bitter.

 

Deine Zunge ist die Ursache; wenn du es zu etwas bringst, dann durch deine Zunge.

 

Deine Verwandten zu bevorzugen heißt, dich vom Gesetz zu entfernen.

 

Wenn sich der Tiger duckt, dann sage nicht, dass er sich vor dir verbeugt.

Es könnte sich um den Moment handeln, in welchem der Tiger sich duckt, um in die Jagdhaltung zu kommen. Dieses starke Bild zielt auf unsere Neigung zur Einbildung und Eitelkeit. Da der Tiger den mächtigen, gefährlichen Menschen darstellt, sind wir gut beraten, sein höfliches Nicken nicht als eine Zustimmung zu verstehen.

 

Gutes Herz – armer Mensch.

 

Schmeichelei siegt über Erfahrung; Unterwürfigkeit siegt über Pflichttreue.

 

Emsige Finger, voller Bauch.

 

Vor Ideen nur so sprudeln, und nicht wissen, sie zu verwirklichen.

 

Flott in der Rede, jedoch unfähig, den Hintern zu bewegen.

 

Ungeschickter Schmied beschuldigt das Eisen.

 

Bis zur Nacht hütest du einen Ochsen, dabei könntest du in der gleichen Zeit für zehn sorgen.

 

Bleibe nicht liegen und warte auf den Tod; bleibe nicht sitzen und warte auf Reichtum.

Hilf dir selbst, so hilft dir Gott. In der Aufforderung steckt aber auch der Rat: Genieße das Leben!

 

Wenn du schon nicht rudern hilfst, so nimm zumindest deinen Fuß aus dem Wasser.

 

„Tork tork“ tropft der Palmensaft und hat bis zum nächsten Tag das Bambusrohr gefüllt.

 

Erst denken, dann handeln.

 

Oft ist das richtige Wort hart, oft wirkt das wahre Wort wie Gift.

 

Wer mit Kindern spielt, kommt in Verruf;wer mit Schlangen spielt, wird gebissen; wer mit Greisen spielt, kommt in Schwierigkeiten.

 

Das Eichhörnchen aß die Feige, sie blieb in der Kehle der Ente stecken und juckte schließlich im Hintern des Rehs.

Dieser drollige Spruch ruft Erinnerungen an Kinderreime wach, erinnert aber auch daran, wie ungerecht es in unserer Gesellschaft zugehen kann.

 

Ist die Katze weg, besteigt die Ratte den Thron.

 

In Schwierigkeiten denkst du an deine Familie; sind sie vorüber, so vergisst du sie gänzlich.

 

Schau dir an, wie der Elefant kackt, dennoch sollst du nicht wie ein Elefant kacken.

Dieser Ratschlag warnt davor, sich in einer Weise zu verhalten, die der eigenen sozialen Position bzw. Kompetenz nicht entspricht: Eine in der Khmer-Gesellschaft häufig anzutreffende Empfehlung.

 

Alkohol zum Entspannen; Reis zum Arbeiten.

Die hier gewählte Übersetzung verringert beträchtlich die Anzahl der möglichen Interpretationen des Spruchs. Sie erinnert daran, dass es für jeden Moment des sozialen Lebens ein adäquates Verhalten gibt. Darin vergleichbar mit dem deutschen Abendbrot, bedeutet bay nicht nur (gekochter) Reis, sondern auch Mahlzeit.

 

Der Streitsüchtige verliert die Freunde und gerät in die Einsamkeit; ständig wütend wird er schließlich zugrunde gehen.

 

Der König braucht das Volk, der Mönch braucht die Regeln, der Fisch braucht das Wasser.

 

Streite nicht mit einer Frau, handle nicht mit einem Beamten, prozessiere nicht mit einem Chinesen.

 

Die Sternbilder: wie könnten sie sich über die Naturgesetze erheben?

 

Augen wie eine Ananasfrucht haben.

Die Augen überall haben. Dieser Ausdruck beschreibt jemanden, dem nichts verborgen bleibt. Man hat ihn auch für die Angkar benutzt. (Angkar steht für Organisation und war unter den Roten Khmer die Bezeichnung für die Partei.)

 

Alles schmeckt dem Hungrigen; dem Liebenden ist nichts hässlich.

 

Nimmst du dir Zeit, so kommst du an; beeilst du dich, so schläfst du unterwegs.

 

Im Schein einer Kerze zu Abend essen, mit gebildeten Menschen zu sprechen ist ein Genuss.

 

Wächst es von alleine, brauchst du es nicht zu pflanzen; ist es dir bestimmt, vom Tiger aufgefressen zu werden, brauchst du nicht in den Wald zu gehen.

Die Aussage dieses Spruchs legt den Gedanke nahe, dass unser Schicksal ungeachtet unseres Tuns vorbestimmt ist. Diese und ähnliche Sprüche erklären möglicherweise die überraschende Gelassenheit, mit der in Kambodscha Missstände hingenommen werden.

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