Warum der Streik endete und wie es weitergeht

17. September 2010

Nach mehr als dreieinhalb Tagen Streik der Textilarbeiterinnen hat gestern der kambodschanische Arbeitsminister Ith Sam Heng die Näherinnen und die Arbeitgeber zu Verhandlungen aufgefordert, indem er offiziell das Ende der Lohnstreiks forderte. Für den 27. September 2010 hat das Sozialministerium nun Lohnverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern angesetzt. Gestern Mittag hat Ath Thorn, Präsident der Cambodian Labor Confederation, das vorläufige Streikende bestätigt, jedoch betont, dass die Streiks bei ergebnislosen Gesprächen jederzeit wieder aufgenommen werden können.

Der Streik ist nun also vorerst beendet. Auf dem ersten Blick ist der bisherige Verlauf der Arbeitsniederlegung überaus positiv zu bewerten. Eine sich für kambodschanische Verhältnisse sehr zurückhaltende Regierung, nicht bedingungslos auf Konfrontation setzende Tarifpartner und trotz der Seltenheit einer solch groß angelegten Arbeitsniederlegung ein sehr friedlicher Verlauf ohne nennenswerte Zwischenfälle. Das war so nicht zu erwarten gewesen, höchstens zu hoffen, und man hätte durchaus befürchten können, dass es bei einem wochenlangen Massenstreik so wohl nicht weitergegangen wäre. Denn es stand – und steht – für fast alle Beteiligten viel, sehr viel auf dem Spiel. Für die Näherinnen geht es um einen Lohn, mit dem sie ihr tägliches Überleben und das ihrer Familienangehörigen sichern können. Es geht schlichtweg um ihre Existenz.

Die hat die Regierung auch im Blick, aber eher im Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit ihres Produktionsstandorts. Da liegt noch vieles im Argen, insbesondere, was die Energiebereitstellung betrifft. Niemand kann zwar ernsthaft behaupten, der Staat ignoriere die existierenden Probleme völlig, aber deren Beseitigung verläuft weit schleppender als möglich. Und solange haben die Textilarbeiterinnen die Versäumnisse in der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik mit einem kargen Lohn auszubaden. Den anzuheben ist, ethisch und moralisch gesehen, unabdingbar – genauso wie es gleichzeitig wirtschaftlich verantwortungslos wäre, den Maximalforderungen der Gewerkschaften nachzukommen. Denn die Arbeitgeber haben von allen Beteiligten am wenigsten zu verlieren: Die Fabriken befinden sich hauptsächlich im ausländischen (chinesischen und koreanischen) Besitz; deren Maschinen können mühelos demontiert werden und neue Produktionsstandorte sind schnell gefunden. Natürlich hat die asiatische Textilindustrie immer ein Interesse an lokaler Diversifizierung, um das unternehmerische Risiko etwas abzufedern, aber wenn die Rechnung in einem Land nicht mehr aufgeht, ist ein radikaler Arbeitsplatzabbau höchst wahrscheinlich. Man mag diese Logik der globalisierten Märkte als Neo-Liberalismus verteufeln wollen, aber andersherum ermöglicht sie es Menschen in vielen Entwicklungsländern erst, Teil der weltumspannenden Produktionskette zu werden und ihren Wohlstand zumindest geringfügig zu steigern.

Dass der in Kambodscha dann doch eher minimal ist, hat politische Gründe. Und es scheint nach wie vor das einfachste zu sein, die Löhne zu deckeln anstatt die anderen Produktionsfaktoren fit für den Wettbewerb zu machen. Das wird aber zunehmend zu einem Balanceakt, denn die Näherinnen kommen in ihrer Belastbarkeit an eine spürbare Grenze. Zu große wirtschaftliche Unzufriedenheit war schon oft der Ausgangspunkt für Regimestürze, das wird auch der kambodschanischen Regierung bewusst sein. Ihre Lösung zum vorzeitigen Streikende ist allerdings ein politisches Meisterstück geworden: Die Arbeitnehmervertreter haben dies angekündigt, weil am 27. September Regierung und Tarifpartner wieder miteinander reden wollen, dann aber nicht um die Löhne, sondern viel allgemeiner über eine Resolution zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen. Inhalt und Datum – erst elf Tage nach dem vorzeitigen Streikende – hätten für die Gewerkschaften eigentlich nie akzeptabel sein können. Nach außen hin dürfte es ihren Führern zwar gerade so gelungen sein, ihr Gesicht zu wahren (was sicherlich auch ein Anliegen der Regierung war), aber dennoch stellt sich die Frage, was hinter den Kulissen wirklich gelaufen ist. Und das ist wenig überraschend: Am 15. September soll einem Bericht zufolge Ith Sam Heng, Minister für Wohlfahrt und Veteranenangelegenheiten, seinen Chef Hun Sen um die Entscheidung gebeten haben, Streikführer At Thorn wegen Aufwiegelung von Arbeitern zu verklagen. Und der stimmte offensichtlich umgehend zu.

Es überrascht kaum, dass am Ende doch wieder Druck und Repression den Verlauf der Dinge entschieden haben dürften. Somit ist nicht nur einmal wieder die Unfähigkeit zu friedlicher Konfliktlösung belegt worden, sondern auch, dass es Hun Sen persönlich ist, der letztinstanzlich über den Umgang mit Dissidenten – Gewerkschafter, Oppositionspolitiker, Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und zivilgesellschaftliche Gruppen – entscheidet. Und daher ist der weitere Verlauf des Arbeitskampfes auch leicht zu prognostizieren: Nach dem noch etwas auf Zeit gespielt wird, werden sich die Gewerkschaften den politischen Realitäten beugen müssen. Ein minimales Entgegenkommen, eventuell auf einen Mindestlohn von 65 USD, ist dabei nicht auszuschließen, um die Arbeiterinnen nicht weiter zu provozieren. Die Gewerkschaftsführer, allen voran Ath Thorn, werden die Wahl haben, entweder das Angebot dankend und gegebenenfalls mit einem privaten goldenen Handschlag anzunehmen oder ein großes persönliches Opfer zu leisten. Wie auch immer sie sich entscheiden: Sie werden den weiteren Gang nicht mehr beeinflussen können.

Die Regierung wird diesen Konflikt zweifellos gewinnen. Sie sollte sich aber auf diesem Sieg nicht ausruhen, denn sonst werden sich die Probleme in den nächsten Jahren sicherlich weiter verschärfen. Hoffentlich hat sie diesen Weckruf gehört, denn man wird nicht auf ewig die wirtschaftlichen Probleme, die größtenteils auf endemischer Korruption basieren, den Arbeitern – und dem gesamten Volk – in die Schuhe schieben können.

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