2. November 2010
Der Tod zweier Kinder in Battambang im Mai dieses Jahres hat nun, ein knappes halbes Jahr später, dank eines Berichts des Sydney Morning Herald in Australien für Aufregung gesorgt. An einem heißen Nachmittag brechen die 13-jährige Hut Heap und ihr neunjähriger Bruder Hut Hoeub an ihrer behelfsmäßig errichteten Hütte auf, um frisches Trinkwasser für die Familie zu finden. Stunden später findet ein Suchtrupp ihre leblosen Körper auf dem Grund eines acht Meter tiefen Tümpels. Tage zuvor waren sie zusammen mit ihren Eltern und anderen Geschwistern als eine von rund 50 Familien zwangsumgesiedelt worden, um Bauarbeiten an einem Eisenbahnprojekt zu ermöglichen. Dieses Projekt wird teilweise von der australischen Regierung finanziert und von einem Konsortium rund um die Firma Toll Holdings aus Melbourne in einem Joint Venture mit der kambodschanischen Royal Group des Magnaten Kith Meng ausgeführt.
Ins Fadenkreuz der Kritik ist nicht nur das Unternehmen geraten, das einen Vertrag zum Bau und Betrieb des Eisenbahnnetzes über 30 Jahren abgeschlossen hat, sondern auch die staatliche Entwicklungsagentur AusAid, die 21,5 Mio. USD zu dem Projekt beisteuert. Im Kern geht es um die Frage, welche Verantwortung internationale Organisationen einnehmen, wenn im Rahmen von gut gemeinten Entwicklungsprojekten Menschen enteignet und zwangsumgesiedelt werden. Denn diese Umsiedlung ist keineswegs so harmlos, wie man auf dem ersten Blick meinen könnte. Es werden – selbst für die ärmlichen Verhältnisse, in denen viele Kambodschaner leben – zusätzliche prekäre Verhältnisse geschaffen, die letztendlich auch zu dem Tod der Geschwister geführt haben. Denn an ihrer neuen Bleibe fehlte nicht nur der Zugang zu Trinkwasser, sondern war auch noch nicht ans Stromnetz angeschlossen. Darüber hinaus war die Distanz zu ihren Arbeitsplätzen zu groß geworden, was viele Familien zwang, sich Geld zu leihen – teils zu horrenden Zinssätzen. Kurzum: Es fehlte an fast allem, was die Umsiedlung hätte halbwegs erträglich machen müssen.
Und solche Situationen sind meist von Dauer, auch in diesem konkreten Fall ist die Trinkwasserversorgung bis heute nicht hergestellt worden. Bis heute streiten sowohl das Unternehmen als auch AusAid jegliche Verantwortung ab und verweisen auf die kambodschanische Regierung. Aber so einfach kann man es sich sicherlich nicht machen, denn die häufigen Zwangsvertreibungen sind in Kambodscha schließlich kein Geheimnis. Nur wer absichtlich beide Augen schließt, wird diese hohe Anzahl an Vorfällen überhaupt erst übersehen können. Und selbst wenn mit der Regierung vereinbart wird, dass zusätzliche Gelder bereitgestellt werden, um die umgesiedelten Familien angemessen zu entschädigen – und nicht, wie in diesem Fall, teilweise mit nur 200 USD – und für eine Anbindung an die Infrastruktur zu sorgen, handelt man angesichts der grassierenden Korruption grob fahrlässig.
Letztendlich hilft, wie in diesem Fall auch, nur eine kritische Öffentlichkeit in den Heimatländern der internationalen Organisationen, um sie an ihre Verantwortlichkeit zu erinnern, mit den öffentlichen Entwicklungsgeldern zumindest keine neue Armut zu schaffen. Dass wäre auch in Deutschland angebracht, denn auch die GTZ als Vorgängerorganisation der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist bereits mit Vertreibungen in Verbindung gebracht worden. 2009 berichtet das Cambodian Human Rights Action Committee (CHRAC), eine Koalition aus 21 lokalen Nichtregierungsorganisationen, unter der Überschrift „Not Poor Enough“ über einen Vorfall aus der Provinz Kratie:
“Kratie authorities removed the dwellings of 130 families living on land earmarked as a social concession for poor people. The authorities are removing all homes in the 4,000 hectare area in Chang Krang and Sambok communes and are relocating the residents. District governor Suon Nhak said 100 of the families had already agreed to move to 20 by 40 meter plots about 1.5 km away. Families say they were given 10 to 15 days to vacate, though authorities and GTZ (German development agency) say they were warned well in advance that the land had been set aside for poor families. The social land concession is a pilot project intended to lift poor, landless people out of poverty. It is being implemented by the government with a World Bank loan and assistance from GTZ. The families being relocated were not poor enough to qualify for the program, authorities and GTZ have been quoted as saying in media reports. Some families have complained that their request for more time to move was ignored and that their homes and crops were destroyed.”
Diesen Anschuldigungen hat die GTZ im Dezember 2010 widersprochen (siehe unten). Zugegeben: Angesichts anderer bekannter Vorkommnisse mutet dieser Fall sicher eher harmlos an. Dennoch zeigt auch er die unmittelbare Verantwortung internationaler Geber für zum Teil schwere Menschenrechtsverletzungen in Kambodscha – eine Verantwortung, die allerdings nicht immer im notwendigen Ausmaß übernommen wird.
Die GIZ hat im Mai 2011 ihre eigene Stellungnahme zu diesem Vorfall gelöscht. Im Archiv lag der Kommentar von Herrn Dr. Franz-Volker Müller (GIZ LASED Teamleiter im Kambodscha) allerdings noch vor, und daher soll er auch an dieser Stelle noch einmal veröffentlicht werden:
„Im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Projekt der GTZ in Kambodscha sind einige Punkte nicht richtig dargestellt.
Richtig ist, dass das Projekt die Armutsminderung zum Ziel hat. Durch die Verteilung von Staatsland an arme und landlose Haushalte und die Unterstützung beim Aufbau kleinbäuerlicher Wirtschaften soll zur Verwirklichung der Menschenrechte, insbesondere auf Nahrung und Wohnung beigetragen werden. Arme und Landlose bewerben sich bei den Kommunen um sogenannte soziale Landkonzessionen und werden in einem transparenten und partizipativen Verfahren ausgewählt. Die Entwicklung der administrativen und technischen Abläufe und das Capacity Development für die Landverteilung wird seit 2007 in einem Pilotvorhaben in Zusammenarbeit mit lokalen NROs von Deutschland durch die GTZ unterstützt. Die Weltbank hat der kambodschanischen Regierung einen Grant von 8.7 Millionen USD und einen Kredit in Höhe von 2.8 Millionen USD zur Verfügung gestellt, um ländliche Infrastrukturmaßnahmen zu finanzieren. Als Erfolge sind zu verzeichnen, dass bereits 1200 Familien Land zugeteilt wurde und die Gemeindevorstände und lokale Behörden dazu befähigt wurden, die Prozesse umzusetzen. Nach 5-jähriger Nutzung werden sie Eigentumstitel für ihre Flächen erhalten.
Jene Familien, die angeblich unrechtmäßig zwangsgeräumt wurden, hatten sich illegal auf einer Fläche niedergelassen, die bereits als soziale Landkonzession reserviert und registriert war. So hatten sie weder nach kambodschanischen Recht noch unter dem für das Projekt konzipierten Resettlement Policy Framework (dieses geht noch über die Bestimmungen im Landgesetz hinaus, um die Rechte informeller Siedler zu schützen) Ansprüche – weder auf das Land, noch auf Entschädigungen. Sie siedelten nach einem klar definierten Stichtag, nach dem bereits öffentlich bekannt gemacht worden war, dass diese Fläche zur Verteilung an Arme und Landlose bestimmt ist. Die Flächen wurden zuvor vermessen und demarkiert und private Besitzansprüche berechtigter Personen wurden geltend gemacht. Die Behauptung, dass die Behörden alle Familien auf der sozialen Landkonzession umgesiedelt hätten, ist nicht richtig. So leben heute all diejenigen Familien, die rechtmäßige Ansprüche hatten, weiterhin auf ihrem Land und profitieren von den Projektaktivitäten.
Provinzbehörden und Mitarbeiter des Landministeriums arbeiteten über ein Jahr lang mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit und direkten Gesprächen mit den illegalen Siedlern daran (May 2008 – May 2009), eine Einigung über die freiwillige Räumung der Flächen zu erwirken. Da dies nicht möglich war, entschied die Provinzregierung sich letztlich, die Siedler auf eine andere Fläche umzusiedeln, um so eine friedliche Einigung zu erzielen. Im Vorfeld war es sogar zu Übergriffen und Einschüchterungsversuchen durch die illegalen Siedler gegenüber den rechtmäßigen Landempfängern gekommen. Einige wenige Haushalte fühlten sich trotzdem unfair behandelt – obwohl sie keinerlei Rechtsanspruch auf eine Kompensation hatten.
Zwangsräumungen oder -umsiedlungen sind immer der allerletzte Ausweg. Dennoch muss klar sein, dass nicht jede Räumung eine illegale Zwangsräumung ist. Im Falle der oben dargestellten Vorgänge wurde geltendes Recht befolgt, um den rechtmäßigen und bedürftigen Landempfängern Zugang zu ihrem Land zu ermöglichen.
Dr. Franz-Volker Müller (GTZ LASED Teamleiter im Kambodscha)“