8. März 2011
In kaum einem anderen Land der Welt wird das moderne Leben – wenn es auch hauptsächlich auf urbane Räume begrenzt ist – so stark von Frauen geprägt wie in Kambodscha. Gewiss, die Rolle der Frauen allgemein sollte keineswegs unterschätzt werden, auch in der mehrheitlich traditionell geprägten Gesellschaft nehmen sie ein festes Rollenverständnis ein. Auf den Punkt gebracht: Kambodschanische Frauen haben zu Hause die Hosen an, überlassen ihren Männern jedoch nahezu alle wichtigen Entscheidungen außerhalb. Je wohlhabender und einflussreicher eine Familie ist, desto größer wird dann aber auch der Einfluss des weiblichen Familienoberhaupts. Wohl niemand anderes verkörpert das eindrucksvoller als Sam Heang, besser bekannt als Bun Rany, die Ehefrau von Premierminister Hun Sen. Sie gilt völlig zu recht als zweitmächtigste Person im Land, aber nicht (allein) durch ihre Heirat, sondern weil sie die informellen Netzwerke orchestriert, die für die Regierungsfähigkeit ihres Gatten so wichtig sind. Sie hat um sich viele andere Frauen geschart, vornehmlich Ministergattinnen und Unternehmerinnen, ebenfalls mächtige Matronen, über die öffentlich meist nur wenig bekannt ist.
Keine Frage allerdings, dass sie nicht das moderne Kambodscha verkörpern. Das sind ganz andere Frauen, wie zum Beispiel Somaly Mam. Selbst einst zur Prostitution gezwungen (Sklaverei trifft es eigentlich besser), gründete sie erst die Organisation AFESIP, später die Somaly Mam Stiftung, die sich beide gegen Menschenhandel engagieren und seit Jahren mit internationalen Preisen überhäuft werden. Wohl keine andere Frau findet weltweit soviel Beachtung wie sie; 2009 führte das Time Magazin sie sogar in der Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Auch Mu Sochua steht für ein modernes Frauenbild: Die Politikerin der oppositionellen SRP attackiert den praktisch allmächtigen Premierminister nicht nur wegen dessen autokratischen Herrschaftsstils, der ausufernden Korruption und den Menschenrechtsverletzungen, sondern stilisiert den Konflikt – beabsichtigt oder nicht – auch noch erfolgreich als Geschlechterkampf. Und dabei erhält sie sogar viel Unterstützung beim anderen – früher sagte man einmal starken – Geschlecht, denn niemand hat bisher Hun Sen derart mutig die Stirn geboten wie die Abgeordnete der Nationalversammlung, die den Regierungschef 2009 wegen einer Beleidigung vor Gericht zerren wollte. Eine der ersten Frauen, die nach Ende des Bürgerkriegs Anfang der 90er Jahre wieder öffentlich Verantwortung übernahmen, war die promovierte Ärztin Pung Chhiv Kek. Sie gründete die Menschenrechtsgruppe Licadho, als deren Präsidentin sie nach wie vor arbeitet. Licadho gilt neben Adhoc als die renommierteste zivilgesellschaftliche Organisation in Kambodscha. Ihre unermüdliche Arbeit zu Menschenrechtsverletzungen, vor allem zu land-grabbing und Einschränkungen der Meinungsfreiheit, und für Frauenrechte macht die grande dame der Zivilgesellschaft zu einer der meist respektierten – nicht gefürchteten – Person des Landes. Das glatte Gegenteil verkörpert schließlich Theary Seng, die sich vor allem der Aufarbeitung der Verbrechen der Roten Khmer verschrieben hat. Niemand versteht es besser als sie, sich öffentlich zu inszenieren, sie ist zweifellos Kambodschas Medienliebling – aber praktisch nur für jene Beobachter, die von außen auf Kambodscha schauen. Innerhalb der NGO-Szene wird sie hingegen ob ihres Hangs zur Selbstdarstellung teils heftig kritisiert, aber ungeachtet dieser Vorwürfe bleibt sie fraglos sowohl eine der wichtigsten Repräsentantinnen des zivilgesellschaftlichen Kambodschas nach außen als auch des modernen Frauenbilds nach innen.
Allen vier Frauen ist gemein, dass sie zumindest für einige Jahre im westlichen Ausland gelebt haben und dort teilweise sozialisiert und ausgebildet wurden. Ein besonders vorwitziger deutscher Journalist fragte Theary Seng 2009, ob dieser Umstand nicht ihre Legitimität mindere, für kambodschanische Frauen sprechen zu können. Ganz so, als wäre der Mangel an political correctness das größte Entwicklungshemmnis in Kambodscha. Aber dem ist nicht so: Somaly Mam, Mu Sochua, Pung Chhiv Kek und Theary Seng werden von vielen jungen Frauen als Vorbilder wahrgenommen. Die vier und andere prägen das Frauenbild einer ganzen Generation. Und sie sind schon heute aktiv, als angehende Unternehmensgründerinnen, Projektmanagerinnen, Journalistinnen, Bloggerinnen, Assistentinnen. In einigen Jahren werden sie wie selbstverständlich in öffentliche Positionen drängen, und ihre unbestrittenen Kompetenzen werden die männlichen Besitzstandswahrer weiter herausfordern.
Frauen spielen schon jetzt den Fortschrittsmotor der sozialen Entwicklung Kambodschas, und man kann nur hoffen, dass sie weiter Erfolg haben werden. Dennoch sind nicht unerhebliche Widerstände zu überwinden, gerade in der Politik, die sich vieler traditioneller Muster bedient, um das Land zu plündern und das Volk zu kontrollieren, hegen viele Protagonisten verständlicherweise erhebliche Vorbehalte gegen alles Neue und Moderne. Trotzdem: Eine Gegenbewegung ist nicht zu erwarten, der Siegeszug der modernen Frauen Kambodschas ist nicht mehr aufzuhalten.