Man kann Kambodschas Oppositionsführer Sam Rainsy durchaus eine eigene politische Agenda unterstellen, aber seine Bedenken bezüglich des am Montag gefällten Urteils des Internationalen Gerichtshofs (ICJ) in Den Haag machen doch ziemlich deutlich, dass Kambodscha nicht als strahlender Sieger aus dem Gerichtssaal spaziert ist, sondern eine ziemlich dicke Kröte zu schlucken hat: Die Angelegenheit sei wie ein Dieb, der das Haus eines anderen Menschen beanspruche. Der Besitzer wehre sich dagegen und rufe ein Gericht an. Das urteile, dass vorübergehend sowohl der Dieb als auch der Besitzer das Haus zu verlassen haben, bis eine endgültige Entscheidung vorliege, wem das Haus nun gehöre – so Sam Rainsy.
Damit liegt er noch nicht einmal falsch, denn 1962 wurde der Tempel Kambodscha vom ICJ bereits zugesprochen. Umstritten ist eigentlich – in Thailand wird dies von manchen allerdings auch anders gesehen – nur ein rund 4,6 km2 großes Gebiet rund um den Tempel. Kambodscha muss nun also definitiv eigenes und vor allem im höchsten Maße prestigeträchtiges Staatsgebiet räumen, was die Frage aufwirft, wie der Zugang zum Tempel in den nächsten Wochen und Monaten von Kambodscha aus überhaupt möglich sein wird. (Zugegebener weise muss auch Thailand eigenes Gebiet räumen, schließlich ist die entmilitarisierte Zone knapp 20 km2 groß, aber dabei handelt es sich weitgehend nicht um von Kambodscha beanstandetes Gebiet, dem außerdem auch kaum kulturell-historischer Wert beigemessen wird.)
Aber derzeit handelt es sich hierbei weiterhin nur um theoretische Sorgen, denn es bahnt sich zumindest für einige Tage der nächste Streit an, nämlich wie das Urteil nun ausgelegt werden soll. Kambodscha hat sich dazu recht klar positioniert und will zunächst die indonesischen Grenzbeobachter in die Region lassen und sich dann zurückziehen. Doch die Regierung in Phnom Penh hat wohl nicht mit den letzten politischen Zuckungen von Thailands scheidendem Ministerpräsidenten Abhisit Vejjajiva gerechnet, der noch einmal ungeniert den Hardliner gibt: Indonesische Beobachter erst, wenn die Truppen abgezogen sind, und Kambodscha bitte schön zuerst. Der Nachbar habe nun mal den Internationalen Gerichtshof angerufen, der verfügt habe, der östliche Nachbar müsse sich „sofort“ zurückziehen, wie Abhisit in der Bangkok Post zitiert wird.
In Sam Rainsys Bild würde der Dieb also verlangen, dass der Besitzer sein Haus zuerst zu verlassen habe. Wie gut allerdings, dass dieser Querschuss wohl der letzte gewesen ist und schon jetzt reine Makulatur ist. Abhisit hat als Spitzenkandidat seiner Partei bei Parlamentswahlen nie gesiegt, so auch am 3. Juli nicht. Die Verantwortung geht an seine Nachfolgerin über, die mit Kambodscha sicherlich einen ganz anderen Umgang pflegen wird. Ob sich die Lage um Preah Vihear dann entschärfen wird, ist allerdings alles andere als sicher. Wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet, hat der regionale thailändische Militärkommandeur schon deutlich gemacht, dass ein Abzug solange nicht möglich sei, bis die neue Regierung gebildet ist. Was das eine nun mit dem anderen zu tun habt, bleibt zwar schleierhaft, ist aber ein erneutes Signal dafür, dass sich die thailändischen Militärs wieder einmal nicht dem demokratisch legitimierten Primat der Politik unterordnen wollen.
Yingluck Shinawatra wird, wenn sie nicht ebenfalls als Dieb personifiziert werden will, wohl einige innenpolitische Kunststücke vollbringen müssen, bevor sie den außenpolitischen Flurschaden beheben kann, den ihr Vorgänger im Amt hinterlässt.