Von Markus Karbaum
Weihnachten kann man auch in Kambodscha nicht entgehen. Das richtige Flair kommt zwar nicht auf, aber die kitschig-dekadenten Dekorationen amerikanischer Prägung in vielen Geschäften lassen jedenfalls nicht zu, die Feiertage in den Tropen ganz zu vergessen. Doch wer meint, dass hiermit hauptsächlich internationale Arbeitnehmer und Besucher angesprochen werden sollen, irrt: Überraschender Weise feiern gerade in der Hauptstadt Phnom Penh viele junge Khmer das Weihnachtsfest. Dass der christliche Bezug dabei total fehlt, versteht sich von selbst – aber wer wird schon mit religiösen Steinen werfen, wenn er im Glashaus des säkularisierten Heimatlandes sitzt. Also gilt wie bei fast allen anderen jungen Menschen auf dem Globus auch bei den Kambodschanern: Zum Feiern braucht man einen Anlass und keinen Grund. Und da machen überraschend viele mit.
Dieses Prinzip wurde am Silvesterabend sogar noch deutlicher. Khmer, die es abends meist gar nicht so lange krachen lassen, waren auch ohne privates Abfeuern von Feuerwerk und Böllern noch weit nach Mitternacht auf den Straßen, zumindest in ihren teuren Luxusfahrzeugen. Wie schon eine Woche vorher war es also nicht das Wochenende, das zufällig auf die Feiertage fiel, sondern tatsächlich der Datumswechsel auf 2012, der zum Feiern animierte. Was, zugegeben, mehr Fragen aufwirft als die Partylaune zu Weihnachten. Einerseits ist es durchaus möglich, die Ausgelassenheit als weiteren Schritt der sozioökonomischen Normalisierung Kambodschas zu sehen, in dem zumindest viele Hauptstädter Armut und die Schrecken der Vergangenheit langsam ablegen. Getreu dem Motto: Feiert, ihr habt’s euch verdient! Andererseits beginnt man genau an diesem Punkt zu schlucken: Wie habt ihr es euch denn verdient? Die zum Himmel schreiende Korruption, durch die sich einige Tausend superreiche Familien auf Kosten der in Armut verharrenden Bevölkerungsmehrheit ein Luxusleben ohne Gleichen gönnen können, bleibt auch um Mitternacht ein kaum zu übersehender Schatten.
Was das Ganze mit dem westlichen Neujahr zu tun hat? Nun, es fällt doch auf, dass den Kambodschanern die eigene Kultur, die Sitten, Traditionen und Gebräuche immer weniger wert zu sein scheinen. Neujahr feiert man mittlerweile dreimal im Jahr – westlich, chinesisch und Khmer –, einzig das islamische Neujahrfest hat sich (noch) nicht durchgesetzt, was sich aber angesichts der sunnitischen Minderheit im Land praktisch jederzeit ändern kann. Pardon, nicht „man“, denn nicht wenige Menschen sind so arm, dass sie noch nicht einmal das wichtigste dieser Feste, das Khmer-Neujahr, so feiern können, dass es sich von ihrem tristen Alltag besonders abheben würde. Und so sind Weihnachten und Silvester nicht nur ein Beleg für die immer mehr in die Beliebigkeit abrutschende Kultur der Khmer, sondern dienen dabei auch zum Schaulaufen mehrheitlich egoistischer Hedonisten, die den Materialismus vergöttern und darin weder Maß noch Mitte kennen. Die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität, ein Verantwortungsbewusstsein für ihre Landsleute in prekären Situationen durch die Sozialpflichtigkeit von Eigentum und Einkommen oder gar Moralvorstellungen – d.h. die freiwillige Unterwerfung unter sittliche Gesetze, die der Buddhismus in ausreichender Menge bereithält – haben für die kleptokratische Elite keinerlei Bedeutung.
Das ist es, was Weihnachten und Silvester in Phnom Penh in eindringlicher Weise verdeutlichen.