Kambodschas Regierung steht durch den Mord – der offiziell natürlich überhaupt keiner war – am Umweltaktivisten Chut Wutty im Moment durchaus stärker unter Druck als sonst, da mittlerweile die halbe Welt über den Fall berichtet. Außerdem zeigen sich maßgebliche Akteure wie die US-Regierung, die Vereinten Nationen und die Europäische Union „tief besorgt“ und fordern eine umfassende Aufklärung des Falls. Unter diesem Druck hat die von Premierminister Hun Sen eingesetzte Ermittlungskommission der Öffentlichkeit einen neuen Sündenbock präsentiert: Ran Boroth ist Wachmann der involvierten Timber Green Company Ltd und soll den Militärpolizisten In Rattana unabsichtlich erschossen haben, nach dem dieser versehentlich Chut Wutty tödlich verletzt hatte. Ran Boroth – laut Phnom Penh Post pikanterweise der Sohn von Hun Ran, dem ehemaligen Leiter der Forstverwaltung der Provinz Koh Kong – soll nun wegen Totschlags angeklagt werden, ihm drohen maximal drei Jahre Gefängnis.
Wie die Nachrichtenagentur AFP Regierungssprecher Tith Sothea zitiert, sei die Arbeit der erst am Dienstag installierten Regierungskommission damit bereits beendet. Doch die neue Version klingt nicht überzeugender als eine Sichtung des Osterhasen zu Weihnachten. Zu den verschiedenen Darstellungen des Tathergangs, die sich in den letzten Tagen angehäuft hatten, ist nun lediglich eine weitere abstruse hinzugefügt worden. Sie entkräftet nicht die vielen Ungereimtheiten, sondern wirft lediglich neue Fragen auf: Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass erst von einem Selbstmord In Rattanas gesprochen wurde, wenn jetzt klar sein soll, dass es jemand anderes war? Was geschah wirklich vor der Tat, und wie kam es zu den Schüssen? Was ist dran an den Augenzeugenberichten, nach denen sowohl Chut Wutty und In Rattana nach den Schusswechseln noch gelebt hatten, ihnen ärztliche Versorgung aber verwehrt wurde? Warum gibt es keine forensischen und ballistischen Untersuchungen, die Klarheit über den Tatablauf liefern könnten? Und warum soll Ran Boroth In Rattana (wenn auch versehentlich) erschossen haben, wenn sie laut Menschrechtsorganisation ADHOC enge Freunde waren?
Verschleiern, tricksen und täuschen – die Regierungskommission unter General Mok Chito, eine der ganz wenigen Schlüsselfiguren im System Hun Sen, hat ihr Ziel offenbar erreicht. Getreu dem Motto: Wenn ein Sündenbock nicht ausreicht, präsentiere einfach einen zweiten. Mit Aufklärung hat das überhaupt nichts zu tun. Man hat den Eindruck, dass die Regierung zusammen mit den relevanten Akteuren der bi- und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit hofft, dass das öffentliche Interesse an dem Fall langsam abebbt und ein Zurück zum business as usual bald wieder möglich ist. Parallelen zu dem anderen Aufsehen erregenden Fall aus Svay Rieng sind offensichtlich: Der Schütze Chhoukh Bandith von der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (KVP) wird lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung belangt, außerdem wurde er nicht seines Amtes enthoben, sondern lediglich auf eine andere Position versetzt. Puma und die anderen internationalen Textilunternehmen, die öffentlichkeitswirksam eine vollständige Aufklärung verlangt hatten, scheint das nicht zu stören.
Also wirklich: Was gehen uns in Europa denn auch die Menschenrechte in Kambodscha an?!