Sie sind maßgeblich für die Qualität demokratischer Wahlen und gelten daher als die beiden wichtigsten Normen für einen möglichen Regimewechsel per Stimmzettel 2018: Das Gesetz über die Nationale Wahlkommission (GNWK) und das Gesetz zur Wahl der Abgeordneten der Nationalversammlung (GWNV). Die oppositionelle Partei zur Rettung der kambodschanischen Nation (PRKN) hatte der regierenden Kambodschanischen Volkspartei (KVP) im Zuge der Beilegung ihres Konflikts nach den letzten Parlamentswahlen das Recht abgetrotzt, bei der Neuformulierung dieser Gesetze entscheidend beteiligt zu sein – rein formal hätte die KVP mit ihrer Parlamentsmehrheit die Gesetze ganz nach ihrem eigenen Gusto ändern oder so belassen können. Daher ist es nicht ganz unerheblich, dass es die beiden Parteien – repräsentiert von Persönlichkeiten, die von den Kriegen und Konfrontationen der letzten Jahrzehnte erheblich geprägt sind – überhaupt geschafft haben, die 2014 postulierte „Kultur des Dialogs“ mit Leben zu füllen.
Die Entwürfe liegen bisher nur in Khmer vor und könnten auch noch verändert werden. Insbesondere zivilgesellschaftliche Vertreter kritisieren die Vorlagen bereits heftig und bezeichneten sie sogar als Verschlechterung des Status quo. Denn mit Artikel 84 des GWNV können NGOs in Zukunft mit Geldstrafen belegt werden, wenn sie Parteien oder ihre Kandidaten im Wahlkampf beleidigen. Was so weit gefasst ist und großen Interpretationsspielraum offen lässt, dass die Angesprochenen fürchten, mundtot gemacht zu werden, da sie etwa nicht mehr auf Unregelmäßigkeiten hinweisen dürfen oder sogar auf Meinungsumfragen und Erhebungen, die für eine unabhängige Begleitung und Auswertung der Wahlen unabdingbar sind, verzichten müssen. Und dass selbst die seriöse Wahlbeobachtungsorganisation COMFREL – die einige Tagen vor den Parlamentswahlen 2013 nachwies, dass die an einem Finger der Wähler angebrachte Tinte zur Kennzeichnung der erfolgten Stimmabgabe leicht zu entfernen ist und dadurch eine Mehrfachstimmgabe nicht verhindert werden kann – erst jüngst wieder die Regierung beleidigt habe, lässt für die Umsetzung dieses Passus durchaus Schlimmeres vermuten. Die namhaftesten Vertreter boykottierten daher am Montag eine öffentliche Anhörung, die dadurch nicht ganz ihren Sinn verlor, weil sich andere wie z.B. der Botschafter der Europäischen Union zu Wort meldeten.
Der Verdacht, zwei Parteien könnten trotz aller Differenzen ein politisches Oligopol bilden, das jegliche Kritik und Konkurrenz im Keim ersticken könnte, ist mit Blick auf die künftige Zusammensetzung der NWK nicht ganz von der Hand zu weisen: Von den neun Mitgliedern sollen KVP und PRKN je vier Vertreter nominieren dürfen (die dann aber möglicherweise ihre Parteimitgliedschaft ruhen lassen müssen und ihr Wahlrecht verlieren), die um einen Konsenskandidaten ergänzt werden. Im letzten Jahr einigte man sich bereits auf Pung Chhiv Kek, die vor allem bei Regimekritikern äußerst respektierte Gründerin und Präsidentin der Menschenrechtsorganisation LICADHO, ehe dem Regierungslager einfiel, Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten eine Mitgliedschaft in der NWK zu verwehren. Damit wäre Madame Kek, die auch den französischen und kanadischen Pass besitzt, aus dem Rennen. Sicher ist aber auch das noch nicht, aber bis zum kambodschanischen Neujahrsfest Mitte April soll auch diesbezüglich eine Entscheidung getroffen werden. Sollte die bisher Nominierte allerdings nicht mehr in Frage kommen, wird die Suche nach einem neuen Kompromisskandidaten wohl erneut alle besten Absichten der Dialogpartner bedürfen, denn das neunte Mitglieder kann potentiell das Zünglein an der Waage für die Fortdauer der Hun Sen-Regierung oder eben des Regimewechsels sein, sofern diese Entscheidung überhaupt an der Wahlurne getroffen wird.
So sieht das auch die Opposition: Geben die Gesetze der Regierung noch ausreichend Spielraum, um das Wahlergebnis signifikant zu ihrem Gunsten zu manipulieren oder reichen die neuen Bestimmungen aus, damit die PRKN nicht nur theoretisch die Wahl gewinnen kann? Insofern ist es nachvollziehbar, dass Parteichef Sam Rainsy, der zusammen mit Innenminister Sar Kheng die letzte Verhandlungsrunde führte, durchaus bereit war, einige Kröten zu schlucken – nicht zuletzt wohl auch deswegen, da ein großer Wurf mit dieser Regierung, wie sich das einige NGOs vielleicht erträumt hatten, nun wirklich nicht zu erwarten war. Mit Blick auf die wichtigsten Änderungen dürfte die PRKN ihr erstes wichtiges Etappenziel erreicht haben, auch wenn die tatsächliche Umsetzung in der Praxis das erst noch belegen muss:
- Die Provinz Sihanoukville wird künftig drei anstatt einen Abgeordneten in die Nationalversammlung entsenden, wodurch die Anzahl der zu vergebenden Mandate von 123 auf 125 steigt. Ansonsten sind keine gravierenden Änderungen des Wahlsystems bekannt, auch die Veränderungen durch die massive Urbanisierung, durch die Phnom Penh eigentlich mehrere neue Sitze hätte bekommen müssen, bleiben unberücksichtigt. Das Beibehalten unterschiedlich großer Wahlbezirke, die mit den Provinzen identisch sind, und die ungenaue Umrechnung der Stimmen in Mandate werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass es kleine Parteien extrem schwer haben werden, auch nur einen einzigen Parlamentssitz zu erringen. Auch wenn davon die PRKN mitprofitiert, hat sich in diesem Punkt die KVP eindeutig durchgesetzt.
- Auf besonderen Wunsch von Hun Sen himself verlieren gewählte Parteien ihre Mandate, wenn sie die konstituierende Parlamentssitzung unter Vorsitz des Königs boykottieren – wie es die PRKN 2013 getan hatte. Die NWK kann die Sitze dann an andere Parteien vergeben, es sei denn, der Verfassungsrat – fest in der Hand der KVP – stellt fest, dass die Wahlen weder frei noch fair waren. Hier wird Funktionalität vor den Volkswillen gestellt, der imperative Charakter eines Mandats gestärkt und die Idee des freien Abgeordneten weiter geschwächt. Punkt für die KVP.
- Der offizielle Wahlkampf wird von vier auf drei Wochen verkürzt, öffentliche Kundgebungen sollen nur noch an vier Tagen erlaubt sein. Dies wurde auch damit begründet, den Straßenverkehr in der Hauptstadt nicht unnötig zu beeinträchtigen. Womit sich die KVP also durchgesetzt hat, da die eindrucksvollen Kundgebungen der Opposition in der Vergangenheit ganz wesentlich zur Wechselatmosphäre und zur Wählermobilisierung beigetragen hatten.
- Beamte und Soldaten dürfen sich an Wahlen beteiligen, müssen aber parteipolitisch neutral bleiben. Was die meisten von Natur aus aber nicht sind. Dem Neutralitätsgedanke ist ein Ende gesetzt, wenn sich Parteien oder Personen oder sonstige Gruppen gegen die Regierung stellen (womit nicht erst Unruhen, sondern bereits friedliche Demonstrationen gemeint sind). Punkt für die, Sie ahnen es, KVP.
- Während NGOs das in der Verfassung gewährte Recht auf freie Meinungsäußerung genommen wird (siehe oben), die Gesetzesvorlage also schon verfassungswidrig ist, wird der Einfluss anderer Akteure, insbesondere von Großunternehmen in Bezug auf Parteispenden, nicht reguliert. Noch ein Punkt für die KVP, Zwischenstand 5:0.
- Parteien könnten in Schwierigkeiten geraten, wenn einzelne Kandidaten rassistische Äußerungen vornehmen – es drohen Geldstrafen bis hin zum Ausschluss von der Wahl. Die PRKN, die 2013 mit arger anti-vietnamesischer Rhetorik auf Stimmenfang ging, wird sich also vorsehen müssen, auch weil das Gesetz in diesem Punkt sehr vage bleibt und eventuell auch eine sachliche Auseinandersetzung über Herausforderungen im Umgang mit ethnischen Minderheiten oder im kambodschanisch-vietnamesischen Verhältnis erschwert. Dennoch ein Punkt für Sitte und Anstand.
- Die Wählerlisten werden zukünftig nach strengen Qualitätskriterien aufgestellt, Wähler müssen sich mit Fingerabdrücken und biometrischem Passfoto eindeutig identifizieren. Dazu sollen die Wahllokale mit entsprechender Technik ausgestattet werden. So soll verhindert werden, dass einzelne Wähler nicht mehr so ohne weiteres von den Listen getilgt werden können, eine Suche im ausgehängten Verzeichnis am Wahltag überflüssig wird und Mehrfachwählen der Vergangenheit angehören soll. Ein großer, bei entsprechender Implementierung der entscheidende Erfolg der Opposition, der sechs Punkte wert ist, wodurch die PRKN mit 6:5 gewinnt.
Das Endergebnis könnte aber noch kippen, wenn ein neuer Konsenskandidat für die Nationale Wahlkommission gefunden werden muss, der vielleicht der Regierung nähersteht. Selbst die Gewährung der TV-Lizenz für die Opposition dürfte diesen Nachteil dann nicht mehr aufwiegen.