EBA soll ausgesetzt werden

Auch EU-Kommissare bloggen. Könnte man als Petitesse abtun, vor allem, wenn man mit „I’m in beautiful Innsbruck, Austria, where we have had an informal Ministerial meeting today“ einsteigt, wie es die für den Handel zuständige Cecilia Malmström am Freitag tat. Das wäre aber voreilig, denn sie informierte über einen bisher einmaligen Vorgang: Die Suspendierung der Handelspräferenzen  für Kambodscha unter „Everything But Arms“ (EBA), unter denen das Land bisher zoll- und quotenfrei in die Europäische Union alles außer Waffen, Waffenteilen und Munition exportieren darf. Sie schreibt:

“With Cambodia, we are a step further in the process. Many of the issues here date back several years, and in some cases the country has gone backwards. The elections in July of this year – coming after our EU mission to the country – were marked by harassment and intimidation, as well as severe restrictions when it comes to essential political rights. Today, High Representative Federica Mogherini and I have therefore notified Cambodia that we are launching the process for the withdrawal of their Everything But Arms preferences. Without clear and evident improvements on the ground, this will lead to the suspending of the trade preferences that they currently enjoy.”

Was bisher höchstens theoretisch denkbar war, dürfte also bald Realität werden. Auch wenn vor einigen Monaten eine offizielle Untersuchung eingeleitet worden war und deswegen eine EU-Delegation im Juli in Phnom Penh vorstellig wurde, hielt man diesen Schritt noch für unwahrscheinlich. Autokratische Systeme gibt es andernorts schließlich auch, politisch motivierte Gewalt wird im Vergleich zu anderen undemokratischen Staaten kaum ausgeübt, es gibt keine Todesstrafe, und selbst die Anzahl politisch Gefangener beschränkte sich in den letzten Jahren stets auf deutlich weniger als 50 Personen. Dagegen schien die Aussetzung der EBA als Ultima Ratio, die man vielleicht erwägen sollte, wenn etwa Massendemonstrationen in Phnom Penh gewaltsam niedergeschlagen würden.

Außerdem wurde immer darauf hingewiesen, dass EBA wesentlich zum Erhalt der Bekleidungsindustrie beiträgt, die immerhin rund 700.000 Arbeitsplätze für geringqualifizierte Beschäftigte (90% sind Frauen) bereithält. Die würden zwar nicht alle wegfallen, aber wie viele letztendlich erhalten bleiben, ist zurzeit noch völlig unklar. Die Bekleidungsindustrie ist wie kaum eine andere unabhängig von Produktionsstandorten, da die Maschinen problemlos demontiert und woanders schnell wieder aufgebaut werden können. Wenn eine Fabrik von einem Land in ein anderes verlagert wird, wäre die Produktion nur wenige Wochen unterbrochen. Und die Bereitschaft für zügige Verlagerungen ist ausgeprägt, schließlich wird in der Branche knallhart kalkuliert.

Ob die Arbeitslosigkeit demnächst rapide ansteigt, ist dennoch nicht zu erwarten. Es könnte nämlich noch deutlich schlimmer kommen: Viele Frauen könnten gezwungen sein, prekäre Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, etwa im Bauwesen oder in der Landwirtschaft, wo die Gefahr der Ausbeutung ungleich höher ist. Sicherlich werden zehntausende versuchen, das Land zu verlassen, was wiederum Menschenhändler auf den Plan rufen wird. Insgesamt wird die Armut wieder steigen, schließlich versorgen die Näherinnen in aller Regel ihre Familien inklusive der eigenen Eltern. Hier scheint neues Elend also vorprogrammiert zu sein.

Es sind also viele Gründe, insbesondere soziale Aspekte, die gegen die Suspendierung sprechen. Handelt die EU, in die mit 5,8 Mrd. US-Dollar 40% aller kambodschanischen Exporte gehen, also verantwortungslos? Nein, denn noch hat die kambodschanische Regierung genügend Zeit und Möglichkeiten, den GAU abzuwenden. Und schließlich will die EU kein Embargo über Kambodscha verhängen, sondern eine Subvention aussetzen, die vielen anderen Staaten nicht gewährt wird. Außerdem ist es legitim, Beihilfen an Bedingungen zu knüpfen, zumal Kambodscha vor fast genau 27 Jahren durch die Pariser Friedensverträge eine international garantierte Regelung zur Nachbürgerkriegsordnung einging, die das Regime seitdem mehrfach massiv gebrochen hat. Und bisher hatte die EU bei den vielen Verfehlungen Hun Sens – Putsch, Ermordung politischer Kontrahenten, Wahlbetrug, Verfolgung von Oppositionspolitikern – immer mindestens ein Auge zugedrückt. Von unverhältnismäßiger Strenge oder westlicher Überheblichkeit im Umgang mit einem unterentwickelten kleinen Land kann man daher jedenfalls nicht sprechen.

Klar wird das in der Regierung anders gesehen, gerade weil Kambodscha das einzige „Least Developed Country“ ist, das nun von EBA entkoppelt werden soll. Doch für die EU steht selbst zurzeit viel auf dem Spiel, und in Zeiten von Brexit, Putins Muskelspielen und Trumpscher Brachialpolitik will man offenbar Durchsetzungsfähigkeit beweisen und nicht als kraftloser Papiertiger erscheinen. Dass sich Kambodscha in den letzten Jahren ziemlich freiwillig in ein enormes Abhängigkeitsverhältnis zur Volksrepublik China begeben hat, ist dabei nicht völlig irrelevant. Wenn denn schon Kambodscha  nach Pekings Pfeife tanzen möchte, dann ist es wirklich schwer zu begründen, dass die EU dafür kostenlos den Ballsaal stellen soll.

Dabei kann Premierminister Hun Sen alles noch abwenden. Kambodscha ist ein Präzedenzfall, die Abläufe zur Aussetzung von EBA nach der Verordnung (EG) Nr. 980/2005 wurden bisher noch nie angewandt. Auf keinen Fall wird sie vor Mai 2019 ausgesetzt, was dem Langzeitautokraten noch etwas Aufschub gibt. Doch er sollte sich beeilen, denn schon alleine mit der Aussicht auf wirtschaftliche Widrigkeiten dürfte das Misstrauen in den Standort Kambodscha ab sofort wachsen. Während der unmittelbare finanzielle Vorteil von EBA mit 700 Mio. US-Dollar im Jahr beziffert wird, sind die indirekten Folgen noch gravierender: Ausländische Direktinvestitionen dürften zurückgehen, die Immobilienpreise sinken. Der Staatshaushalt müsste sich auf sinkende Einnahmen einstellen, außerdem dürften die Anreize zur Kapitalflucht zunehmen, der Schuldenstand wachsen.

Ob Hun Sen aber über seinen Schatten springen wird, ist dennoch unwahrscheinlich (aber es war ja auch bisher kaum denkbar, dass EBA ausgesetzt werden könnte). Und er müsste sehr hoch springen und zumindest die Opposition wieder zulassen und Neuwahlen ansetzen – also weit mehr, als nur einige politische Gefangene freizulassen wie in den letzten Wochen getan. Der Gesichtsverlust wäre enorm, der Machtverlust nahe. Den wird er aber niemals hinnehmen, und so wird er wohl oder übel nach alternativen Lösungen suchen müssen. Vielleicht wird er die Aussetzung von EBA als westliche Verschwörung verurteilen und in China um finanziellen Ausgleich bitten. Sollte das nicht reichen und „sein“ Volk unzufrieden werden, wird er sich darauf konzentrieren müssen, aufkommenden Protest im Keim zu ersticken.

Was aber dann darauf hinausläuft, dass die Aussetzung nicht nur vorrübergehend sein könnte.

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