9. Februar 2011
Der Konflikt um den Tempel Preah Vihear und den Grenzverlauf wirft zahlreiche Fragen auf. Den meisten, so scheint es, sollte man sich aus der thailändischen Perspektive her nähern. Im Zentrum dieser Überlegungen stehen die Parlamentswahlen, die in diesem Jahr noch stattfinden sollen. Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva ist bekanntlich in erster Linie deswegen ins Amt gekommen, weil die nationalistischen Gelbhemden, wie die Volksallianz für Demokratie umgangssprachlich genannt wird, mit ihren Aufständen die Nachfolger von Thaksin Shinawatra – den Rothemden – entscheidend schwächte. Seine extremistischen Steigbügelhalter haben sich in den letzten Monaten allerdings deutlich von Abhisit distanziert, und daher liegt die Vermutung nahe, dass der Konflikt in erster Linie als Geste ihnen gegenüber interpretiert werden kann.
Der britische Telegraph stellt dagegen noch eine zweite Vermutung in den Raum: Es könnte sein, dass Abhisit gar nicht mehr Herr der Lage ist und die Feuergefechte auf eine Vereinbarung radikaler Militärs mit den extremen Nationalisten fußen, um die Regierung zu destabilisieren. Am Ende könnte dann wieder ein „rettender“ Militärputsch stehen, der in Thailand ja eher Regelfall als Ausnahme ist. Träfe dies zu, könnte Kambodscha davon ausgehen, dass der Konflikt wohl nicht ausarten wird, denn das thailändische Militär hat von jeher seine nationalen Pfründe und Privilegien im Blick und verfolgt nicht das Ziel, Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld zu mehren. Was wiederum Thailands Nationalisten gar nicht schmecken dürfte, denn ihnen geht es nicht nur um das Gebiet um den Tempel, sondern um die Ruine selbst. Aber selbst die größten Hardliner in Thailands Streitkräften werden wohl wissen, dass eine Integration des Tempels Preah Vihear in das eigene Staatsgebiet selbst mit militärischen Mitteln utopisch sein dürfte.
Langsam aber sicher steht auch Thailands internationale Reputation auf dem Spiel. Hanns-Heinrich Schumacher, Deutschlands Botschafter in Bangkok, erkannte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk schon „mangelnde politische Reife“ und stellte indirekt in Aussicht, das Thailands internationale Ambitionen – vor allem die angestrebte Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat ab 2016 – wohl keine Unterstützung bekämen, wenn das Land nicht in der Lage sei, diesen Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Auch er spricht jedoch von lokal begrenzten Gefechten, die auf die Befehlshaber vor Ort zurückzuführen seien als durch die jeweiligen Regierungen in den Hauptstädten orchestriert.
Thailands Regierung hat somit innen- wie außenpolitisch an vielen Fronten zu kämpfen. Im Bezug auf den eigentlichen Konflikt, also der mit Kambodscha, hat man nun – wenn auch überraschend spät – den Hauptkontrahenten ins Visier genommen. Und das ist natürlich kein geringerer als Premierminister Hun Sen persönlich. Der hatte ja nicht nur Thaksin, den Intimfeind des thailändischen Establishments, zu einem seiner Berater ernannt, sondern schleppt noch weit größere historische Bürden mit sich herum: In den achtziger und neunziger Jahren kämpften die Roten Khmer auch von thailändischem Staatsgebiet gegen die Regierung in Phnom Penh, die seit Ende 1984 von Hun Sen geführt wurde. Dabei kooperierte die Bürgerkriegsallianz auch eng mit Thailands Streitkräften, die in ihren Partnern ein willkommenes Bollwerk gegen einen ausufernden Einfluss der Sozialistischen Republik Vietnam sahen. Hun Sen auf der einen und Thailands alte Eliten inklusive des Militärs auf der anderen Seite: das ist dann doch eher die Neuauflage eines alten Spiels als eine gänzlich neue Konfliktlinie.
Der erste Angriff gegen Hun Sen besteht nun darin, dass ihn eine Gruppe aus 40 thailändischen Senatoren beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angezeigt hat. Die Chancen einer solchen Klage stehen allerdings äußerst schlecht, und selbst The Nation erkennt darin lediglich eine symbolische Geste. Aber selbst das scheint der Hoffnung doch etwas zu viel zu sein: Thailand erkennt den Internationalen Gerichtshof noch nicht einmal an – die Gefahr, sich mit diesem Schritt bis auf die Knochen zu blamieren, haben die Senatoren offensichtlich nicht bedacht.
Der zweite Angriff besteht in lautstarken Vorwürfen gegen Hun Sens ältesten Sohn, Generalmajor Hun Maneth. Der soll laut Bangkok Post Initiator der Feuergefechte sein, die nach Freitag ausgetragen wurden, offensichtlich, weil er sich nicht mit den Verlusten des ersten Feuergefechts abfinden konnte. Demnach soll Hun Maneth dort ganz bewusst Erfahrungen sammeln und bestenfalls noch Erfolge vorweisen, um demnächst auf der Karriereleiter die Stufe des Oberkommandierenden der kambodschanischen Streitkräfte einzunehmen (wobei das Ende als Nachfolger seines Vaters ja angeblich auch schon feststehen soll). The Nation hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen und berichtet außerdem, dass Hun Maneth am Sonntag während den Kampfhandlungen verwundet worden sei.
Auch Hun Sen selbst soll den Konflikt vor allem aus innenpolitischen Gründen führen. Auch er brauche Zustimmung, die er durch das „Ausspielen der nationalen Karte“, so Professor William Case gegenüber AFP, beleben möchte. Im Unterschied zu Thailand, wo die Regierung auf externen Nationalismus reagiert, wird er in Kambodscha an der Regierungsspitze bewusst kultiviert – was sicherlich auch daran liegen mag, dass in Kambodscha sonst niemand wagen würde, offen eine politische Meinung zu äußern.
Wer kämpft da eigentlich gegen wen und mit welchen Motiven: diese Fragen können weiterhin nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Allerdings dürfte auch dem letzten Beobachter klar geworden sein, dass komplexe politische Absichten im Hintergrund laufen, die eine schnelle Beilegung des Konflikts unwahrscheinlich machen. Doch das ist bitter nötig, denn es handelt sich hier um keine Wirtshausschlägerei oder einen sportlichen Wettkampf: nein, hier sterben Menschen, wobei einem Bericht von Reuters zufolge weit mehr Menschen ums Leben gekommen sind als von offizieller Seite, die von fünf Todesopfern spricht, zugegeben wird. Hun Sen lehnt die Bezeichnung Konflikt mittlerweile ab spricht laut Phnom Penh Post von einem „echten Krieg“. Selbst wenn das stimmte: der Premierminister bleibt weiterhin jede Antwort schuldig, wie er denn gedenkt, diesen wieder zu beenden und den Verlust weiterer Menschenleben zu vermeiden.
Immerhin ist es in den letzten beiden Tagen ruhig geblieben.
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