
Müssen sich ab heute für ihre Taten verantworten (v. l. n. r.): Nuon Chea, Khieu Samphan und Ieng Sary. Fotos: ECCC
Das Khmer Rouge-Tribunal hat am Montag die Verhandlung gegen die ehemaligen noch lebenden Top-Kader der Roten Khmer eröffnet. Nachdem die vormalige Sozialministerin Ieng Thirith (79) erst am Donnerstag erstinstanzlich wegen Demenz prozessunfähig erklärt wurde, sitzen nur noch ihr greiser Ehemann Ieng Sary (87, Ex-Außenminister), Nuon Chea (85, damaliger Stellvertreter Pol Pots) und Khieu Samphan (80, ehemals Staatsoberhaupt) auf der Anklagebank. Ihnen werden Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zur Last gelegt. Obwohl in ihrer 45-monatigen Herrschaft mindestens 1,7 Millionen Menschen – andere Quellen sprechen von 2,2 Mio. Opfern – ermordet wurden oder an den Folgen von Zwangsarbeit und Hunger starben, weisen die Angeklagten die Vorwürfe bzw. ihre Verantwortlichkeit dafür zurück. Bisher hat nur Khieu Samphan Bereitschaft erkennen lassen, mit dem Tribunal kooperieren und Fragen beantworten zu wollen.
Den Auftakt von insgesamt vier Eröffnungstagen bildete die Verlesung der Anklageschrift. Staatsanwältin Chea Leang sprach laut dpa von Verbrechen, die zum schlimmsten Horror zählen, welcher einer Nation in der modernen Geschichte je zugefügt wurde. Kambodscha habe sich in ein Freiluftgefängnis und Sklavencamp verwandelt, in dem Männer, Frauen und Kinder unter ständiger Beobachtung und in absoluter Stille Zwangsarbeit verrichten mussten. Die Entgegnung erfolgt dann in den nächsten Tagen mit den Plädoyers der Verteidigung.
Um den Mammutprozess zu beschleunigen, soll er in mehrere „Mini-Verfahren“ aufgesplittert werden. Doch allein der erste, in dem es lediglich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht, soll bereits zwei Jahre dauern. Dabei sollen die Zwangsumsiedlungen mit mehreren zehntausend Opfern zu Beginn der Terrorherrschaft thematisiert werden, als die Städte entvölkert wurden, um Kambodscha in einen reinen Agrarstaat zu transformieren. Ob die anderen Verbrechen später überhaupt noch zur Sprache kommen, ist mehr als fraglich. Doch es ist nicht nur das Alter der Angeklagten, sondern auch vieler ihrer noch lebenden Opfer, die in berechtigter Sorge sind, den Ausgang des Verfahrens nicht mehr mitzuerleben.
Auch die tatsächliche Performanz des Tribunals bisher deutet eher darauf hin, dass der Versuch, mehr als 30 Jahre nach Ende der Schreckensherrschaft der Roten Khmer den Opfern ein Gefühl von Gerechtigkeit zu geben, kläglich scheitern wird. Die politische Einflussnahme durch die kambodschanische Regierung auf das Tribunal, was durch die Vereinten Nationen als Co-Veranstalter offensichtlich geduldet wird, hat den Wunsch nach richterlicher Unabhängigkeit bereits wie eine Seifenblase platzen lassen. Dass gerade durch die Verfehlungen eines deutschen Richters die größte Strafverhandlung seit den Nürnberger Prozessen extrem belastet wird, ist dabei nur eine vieler Facetten. Die Spaltung der Richterschaft in unerfahrene, schlecht ausgebildete und in ihrer Existenz von der eigenen Regierung abhängige kambodschanische Juristen auf der einen versus professionelle, moralisch integere und unabhängige Kollegen aus dem Ausland – mit der bisher einen bekannten Ausnahme – auf der anderen Seite ist in der sogenannten Vorverfahrenskammer (pre-trial chamber) bereits Realität (siehe Dokumente vom 24.10. und 2.11. dieses Jahres) und dürfte sich in Zukunft bei weiteren Lackmustests auf allen Ebnen des Tribunals noch intensivieren.
Die Konstruktionsfehler des Tribunals, auf die seit Jahren hingewiesen wurde, wirken sich trotz ihrer erheblichen Brisanz erst in Ansätzen aus, aber gerade das Vertrauen der zivilen Nebenkläger in den Gerichtshof scheint bereits jetzt in immer unerträglichere Tiefen zu sinken. Als erste zog die bekannte Aktivistin Theary Seng in der vergangenen Woche ihren Status als Nebenklägerin zurück und bevorzugt es nun offenbar, die Gesichter der Angeklagten und weiterer Protagonisten der damaligen Zeit (Pol Pot, Henry Kissinger und andere) als Motive für Zielscheiben zu nutzen und diese mit Dartspfeilen zu bewerfen. Die Schande des Tribunals, von der einige Beobachter sprechen, ist jedenfalls real.
Immerhin soll der erste Prozess vor dem Abschluss stehen: Am 3. Februar will die Appellationskammer das Urteil im Berufungsverfahren gegen Kaing Guek Eav, der unter seinem Kampfnamen „Duch“ das Foltergefängnis S-21 in Phnom Penh leitete, verkünden. Dass das Revisionsverfahren allerdings bereits Ende März endete und eigentlich als ziemlich unproblematisch galt, zeigt die enormen Defizite des Tribunals. Vielleicht tragen die üppigen Gehälter aller Verfahrensbeteiligter nicht unwesentlich dazu bei, die Arbeit etwas langsamer anzugehen: Rund 200 Mio. US-Dollar hat das Tribunal alles in allem bereits gekostet und kann damit zumindest aus wirtschaftlicher Hinsicht als voller Erfolg für Kambodschas politische Elite gewertet werden.
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Noch immer sind die Wunden der Vergangenheit tief bei den Opfern und Ihren Angehörigen. Und jeder Prozess wirft immer wieder neue Fragen auf, Fragen welche nicht nur belastend für die Beteiligten sind sondern auch für die Geschichte eines ganzen Landes. Prozesse wie diese, unabhängig von ihrer Bedeutsamkeit, sind wichtig um die Geschehnisse zu verarbeiten und das Kollektiv- und Identitätsbewusstsein eines Volkes zu stärken, das sich erst wieder neu erfinden musste.
Führungstrio der Roten Khmer vor Gericht