Kem Sokha, Spitzenkandidat der oppositionellen Cambodia National Rescue Party (CNRP), hat – zumindest aus westlicher Sicht – ein Tabu gebrochen. Wohl um die unter den Khmer weit verbreiteten anti-vietnamesischen Ressentiments zu schüren, hat er öffentlich gemutmaßt, dass das berüchtigte Foltergefängnis S-21 in den Räumen der vormaligen Schule Tuol Sleng unter den Roten Khmer tatsächlich eine Erfindung der Vietnamesen sei. Der Cambodia Daily zitiert aus einer Tonbandaufzeichnung von zwei Reden am 18. Mai in Takeo und Prey Veng:
“The Vietnamese created this place with pictures [of the victims]. If this place is truly Khmer Rouge they would have knocked it down before they left. […] You should know that if the Khmer Rouge killed people, would they keep it to show to everyone? If they knew they killed many people, why would they keep this place?”
Die Zeitung bezieht sich außerdem auf eine weitere Aufzeichnung von Kem Sokha, die die Regierung veröffentlichte. Dort heißt es: “Why would the Khmer Rouge be so stupid as to keep Tuol Sleng after killing many people, and keep it as a museum to show tourists? This is just staged. I believe it is staged, isn’t it?”
Vielleicht sind das Fragen, die sich der eine oder andere Historiker auch schon gestellt und in der Regel mit dem überhasteten Abzug der Roten Khmer gegen die schnell vorrückenden Vietnamesen erklärt hat. Aber Kem Sokha ist kein Wissenschaftler, sondern ein Politiker im Wahlkampf, und seine Suggestivfragen verfolgen ein eindeutiges Ziel. Dabei fehlen den Äußerungen angesichts zahlreicher fundierter Publikationen und Augenzeugenberichten sowie aufgrund des 2012 beendeten Prozess gegen den geständigen Gefängnisdirektor Duch jedwede fundierte Grundlage.
Das hat auch Premierminister Hun Sen erkannt und den Spieß einfach umgedreht. Während er in der Vergangenheit ziemlich häufig eine selbst für Experten kaum zu erkennende Verbindung zwischen der Opposition und den Roten Khmer herzustellen versuchte, scheint ihm nun der fehlende Beleg frei Haus geliefert worden zu sein. Nicht nur, dass er die wirren Worte seines Gegenspielers genüsslich rezitierte, schlug er außerdem ein Gesetz vor, dass die Leugnung der Verbrechen der Roten Khmer unter Strafe stellen soll – ganz so, wie Deutschland beispielsweise mit Holocaust-Leugnern verfährt – und noch im Juni verabschiedet werden soll.
Soweit die eine Hälfte des Skandals. Die andere wird durch den auffallend zögerlichen Umgang der CNRP mit den Äußerungen ihres Spitzenkandidaten genährt. Zu Anfang war es lediglich Parteisprecher Yim Sovann, der darauf hinwies, dass die Äußerungen nicht Linie der Partei seien, die weiter davon überzeugt sei, dass das Gefängnis von den Roten Khmer betrieben wurde. Doch diese Worte fanden kein Echo: Die Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen oder die Tonbandaufnahme sei gefälscht worden, hieß es Tage später. Forderungen des S-21-Überlebenden Chum Mey, Kem Sokha möge sich entschuldigen, wurden beschieden, dass man sich nicht für etwas entschuldigen könne, was Kem Sokha nicht gesagt habe – dabei soll er seine Äußerungen bereits in einem Interview bei Radio Free Asia indirekt bestätigt haben. Insbesondere Parteichef Sam Rainsy sorgte für zusätzliche Irritationen, die jegliches politisches Feingefühl vermissen ließen, um sich dafür an seinem Gegenspieler abzuarbeiten: “Hun Sen is distorting the truth, manipulating justice and bullying the Cambodian people“ – mehr fiel ihm zu den skandalösen Worten seines Stellvertreters jedenfalls nicht ein.
Ob es zu den Massenprotesten kommen wird, die Chum Mey angekündigt hat und die von Hun Sen zumindest verbal unterstützt werden, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Aktuell tourt Kem Sokha noch durch die USA, um Spendengelder für den Wahlkampf zu akquirieren. Doch der Imageschaden, den er verursacht hat und der durch seine Parteifreunde eher verstärkt als verringert wurde, ist nicht mehr gut zu machen. Beispielsweise wäre es ein leichtes gewesen, die Äußerungen als „missverständlich“ zu bedauern, sich als Anwalt der Überlebenden zu empfehlen und ein eindeutiges Zeichen zugunsten der Opfer der Roten Khmer abzugeben, etwa mit einer Zusicherung, alle Hauptverantwortlichen vor das Khmer Rouge-Tribunal zu bringen und die Richter dort unabhängig agieren zu lassen. Doch das alles blieb aus, und man fragt sich: Warum? Warum rückt die CNRP in die Nähe der Roten Khmer? Und warum gibt sich die Opposition seit Jahren in allen möglichen Debatten um die kambodschanischen Jahrhundertverbrecher so auffallend schmallippig?
Jedenfalls bestimmt nicht aus Zufall.
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