Endlich! Nach so viel unermesslichem Leid, Tod, Verzweiflung und Trauer. Nach so langer Zeit, die so viele weitere begrub, die es verdient gehabt hätten, diesen heutigen Tag erleben zu dürfen – aber: endlich! Endlich hat ein unabhängiges Gericht – nicht in einem Schauprozess, sondern in einem Verfahren, das weitgehend rechtsstaatlichen Maßstäben folgte – festgestellt, dass jemand die Verantwortung für die Verbrechen der Roten Khmer trägt. Stellvertretend für Pol Pot, Ieng Sary oder Ta Mok, deren allein ihr vorzeitiges Ableben eine heutige Verurteilung verhinderte, und die prozessunfähige weil demente Ieng Thirith wurden die beiden letzten noch lebenden Top-Kader Nuon Chea und Khieu Samphan für schuldig befunden für jene Verbrechen, die zwischen dem 17. April 1975 und Dezember 1977 begangen wurden.
Es ist ein wahrlich historischer Tag, trotz all der Enttäuschung, so lange darauf gewartet haben zu müssen. Mehr als 35 Jahre nach dem Ende des Demokratischen Kampuchea, fast 16 Jahre nach Beilegung des Bürgerkriegs, knapp sieben Jahre nach der Inhaftierung der Angeklagten (also 83 Monate Untersuchungshaft!), fast genau ein Jahr nach Ende der Beweisaufnahme und mehr als neun Monate nach den Schlussplädoyers. Man hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Man war verzweifelt anlässlich der ineffizienten Verfahrensordnung, der unsäglichen Einmischungen der Regierung, der oftmals zähen Verfahrensinhalte, der niemals enden wollenden Verzögerungen. Doch all diese Enttäuschung kann, darf und sollte für diesen einen, historischen Tag bei Seite geschoben werden.
Und was für ein Urteil! Auf mehr als 600 Seiten wird haarklein aufgeführt, warum es juristisch geboten ist, Nuon Chea und Khieu Samphan lebenslang einzusperren, auch wenn die Angeklagten bereits angekündigt haben, Berufung einzulegen. Daher müssen die Kambodschaner leider weiterhin mit der Befürchtung leben, dass sich die Angeklagten aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters einer rechtskräftigen Verurteilung doch noch entziehen könnten. Dennoch: Die Symbolkraft des heutigen Urteils wird vieles überstrahlen. Dass es niemals – selbst bei einer Ahndung durch die barbarische Todesstrafe – auch nur annähernd angemessen erscheinen kann für das, was damals geschah, wussten alle vorher. Auch, dass diese verbohrten Ideologen und Massenmörder völlig unfähig sind, überhaupt irgendeine Form von Schuldbewusstsein zu entwickeln.
Aber es ist noch nicht vorbei, noch längst nicht: Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit begann in der letzten Woche der zweite von insgesamt drei geplanten Verfahrensteilen. Denn es geht keinesfalls um Aburteilung, sondern um Aufarbeitung. Und daher gilt Verfahren 002/02 als das Herzstück des gesamten Tribunals: Zur Sprache kommen u.a. der Völkermord an den Vietnamesen und Cham, die internen Säuberungen, die Foltergefängnisse, Zwangsarbeit, der Umgang mit gläubigen Buddhisten und Zwangsehen.
Vielleicht ist das für die beiden Greise die noch viel größere Strafe, als in einer komfortablen Zelle auf den eigenen Tod zu warten: (fast) jeden Tag dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, was man verbrochen hat. Quasi das Jüngste Gericht zu Lebzeiten – für die Opfer, ihre Angehörigen und die gesamte Menschheit.
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