Es war vom Blut-Zucker die Rede, und auch wenn dieser Begriff schon vor einigen Jahren ziemlich martialisch klang, wies er doch auf eine dramatische Entwicklung hin: Um Zucker in die Europäische Union zu liefern, benötigten die kambodschanischen Exporteure entsprechend geeignete Anbauflächen. Die Rechnung war einfach: Mehr Land – mehr Plantagen – mehr Zucker – mehr Gewinn. Geprägt von Korruption und Rechtlosigkeit, kam in Kambodscha das, was kommen musste: Einflussreiche Großunternehmer, die nicht viel tun mussten, um sich widerrechtlich Land anzueignen, insbesondere in den Provinzen Kampong Speu und Koh Kong. Tausende waren von dem Phänomen, das im Englischen Land-Grabbing bezeichnet wird, betroffen, und gewöhnlich ist der Verlust des eigenen Landbesitzes für einen Bauern und seine Familie unmittelbar existenzbedrohend.
Die EU-Kommission spielte dabei eine wenig ruhmreiche Rolle: Durch die „Everything But Arms“-Regelung können die ärmsten Entwicklungsländer (LDC) wie Kambodscha alles außer Waffen, Waffenteilen und Munition zoll- und quotenfrei in den europäischen Binnenmarkt exportieren. Eigentlich eine lobenswerte Politik, die in Kambodscha aber Anreize schaffte, die so nicht beabsichtigt waren. Erstmals wurde die EU-Kommission vor knapp sechs Jahren auf diesen Umstand hingewiesen, doch seitdem wurde das Problem ignoriert, relativiert, ausgesessen. Als die „Zuckerbarone“ (Ly Yong Phat, die Nummer eins in diesem Geschäft, sitzt für die Regierungspartei im kambodschanischen Senat und ist dadurch vor Strafverfolgung geschützt) in manchen Gegenden schon Fakten geschaffen hatten, entschied sich die Kommission 2014 immerhin, eine Untersuchung in Auftrag zu geben. Deren Ergebnisse liegen aber auch 2016 (noch) nicht vor, was wohl nur durch einen gut entwickelten Instinkt im bürokratischen Selbstschutz und einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein und politischer Führung zu erklären ist.
Doch erst die allem Anschein nach vorsätzliche Untätigkeit der Kommission ermöglichte eine Sternstunde zivilgesellschaftlichen Engagements: Durch den Druck verschiedener Nichtregierungsorganisationen fuhr der vormals wichtigste Importeur, der britische Tate & Lyle-Nahrungsmittelkonzern, seine Zuckereinkäufe aus Kambodscha schrittweise zurück. Während 2013 noch 65.500 Tonnen Zucker im Gegenwert von rund 38 Mio. € nach Europa exportiert wurden, waren es ein Jahr später nur 38.000 Tonnen (15,6 Mio. €). 2015 fiel der Export noch einmal deutlich auf 3.400 Tonnen, und die Phnom Penh Post berichtet in dieser Woche, dass seit 1. Oktober sogar nur 20 Tonnen nach Europa verschifft worden seien. Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass auch andere Konzerne wie Coca-Cola und die Deutsche Bank über ihre Tochter DWS in der Vergangenheit vom kambodschanischen Zuckerboom profitiert hatten.
Dieses Beispiel gibt Hoffnung, dass sich auch in anderen Wirtschaftszweigen mit zivilgesellschaftlichen Engagement, kritischen Verbrauchern und einem langen Atem einiges zum Besseren bewegen lässt. Die Bekleidungsindustrie fällt einem sicherlich zuerst ein, auch wenn sie unterm Strich den Kambodschanern nach wie vor deutlich mehr nutzt als schadet. Aber solange weder die kambodschanische Regierung noch die EU-Kommission oder andere Institutionen mit politischer Verantwortung ein grundsätzliches Problembewusstsein dafür entwickelt haben, dass nur inklusives Wachstum wünschenswert sein kann, bleibt noch viel zu tun.