
Phnom Penh, 7. August 2014: Nuon Chea wird für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. (Foto: ECCC)
Nach dem Tod von Nuon Chea bleibt für das Khmer Rouge Tribunal nicht mehr viel Arbeit. Es geht nunmehr um den Nachlass, wozu auch die Anerkennung der beiden herausragenden Orte der Rote Khmer-Verbrechen als UNESCO-Welterbe der Menschen gehören sollte.
Der Völkermörder Nuon Chea ist am Sonntagabend in einem Krankenhaus in Phnom Penh verstorben, in das er Anfang Juli eingeliefert worden war. Der ehemalige Chefideologe unter Bruder Nr. 2 der Roten Khmer starb im Alter von 93 Jahren. Rückblick: Geboren 1926 als Lao Kim Lorn und aufgewachsen in der westlichen Provinz Battambang, Studium in Bangkok, spätestens ab den 60ern einer der führenden kommunistischen Guerillas. Ab 1970 spielte der unter seinem Nom de Guerre bekannt gewordene Nuon Chea eine wichtige Rolle in der Koordination mit den Nordvietnamesen, denen Kambodscha unter Lon Nol im März des Jahres den Krieg erklärt hatte.
Nach der Machtübernahme der Roten Khmer im April 1975 spielte er eine tragende Rolle in den innerparteilichen „Säuberungen“, denen zehntausende Parteimitglieder zum Opfer fielen. Nach der erfolgreichen Invasion Vietnams und des Sturzes der Roten Khmer am 7. Januar 1979 ging Nuon Chea wieder ins Unterholz, dieses Mal in das thailändisch-kambodschanische Grenzgebiet. Die (Un-)Logiken des Kalten Krieges führten dazu, dass die Roten Khmer trotz ihrer abscheulichen Verbrechen nach wie vor gebraucht und international unterstützt wurden.
Kaltblütiger Killer, aktiver Angeklagter, gebrechlicher Greis
Erst im Dezember 1998 kapitulierten die letzten Roten Khmer mit Nuon Chea an ihrer Spitze. Bis 2007 lebte er unter seinen Anhängern unbehelligt in Pailin an der Grenze zu Thailand, ehe er verhaftet und an das Khmer Rouge Tribunal überstellt wurde. 2014 fiel das erste Urteil – lebenslänglich – gegen ihn und den letzten Mitangeklagten Khieu Samphan, das 2016 durch das Berufungsgericht bestätigt wurde. Im Gegensatz zu den anfangs noch drei weiteren Angeklagten äußerte sich Nuon Chea gegenüber dem Gericht auch ausführlich zur Sache. Einmal zeigte er sogar Reue – unklar, ob ehrlich gemeint oder taktisch veranlasst. Besonders authentisch wirkt Nuon Chea in dem Dokumentarfilm Enemies of the People von 2009, in dem er überdies die begangenen Verbrechen einräumte.
In den letzten Jahren konnte Nuon Chea kaum noch an den immer seltener werdenden Verhandlungen gegen ihn teilnehmen. Der kaltblütige Killer – in Propagandaaufnahmen des damaligen Demokratischen Kampucheas wirkte er stets feist und aufgedunsen – war ein gebrechlicher Greis geworden, der nur noch selten den Furor von einst aufblitzen lassen konnte. Dass er seit 1998 einen recht angenehmen Lebensabend verbringen konnte – das Tribunal musste alles für sein Wohlergehen unternehmen – gehört wohl zur Ironie der Geschichte. Aber dass der erklärte Religionsfeind Nuon Chea, der für die Ermordung so vieler klerikaler Würdenträger verantwortlich war, nun nach buddhistischen Riten bestattet werden soll, ist an Zynismus nicht mehr zu übertreffen.
Die letzten müden Zuckungen des Tribunals
Nuon Chea ist tot, das Tribunal dagegen spätestens seit November 2018, als in einem weiteren Teilverfahren ein erstinstanzlicher Schuldspruch gegen die beiden verbliebenen Angeklagten erfolgte, ein Zombie. Vielleicht arbeitet sich das Berufungsgericht noch an Khieu Samphans Revision ab, was aber nur einer juristischen Notwendigkeit (um nicht zu sagen: Spitzfindigkeit) entspricht. Weitere Angeklagte wird es nicht geben, es sei denn, es geschieht ein Wunder.
Jetzt geht es also an die Nachlassverwaltung. Die Arbeit des Tribunals war überaus mau, Aufwand und Ertrag standen in einem enormen Missverhältnis. Viele nationale wie internationale Akteure haben finanziell massiv vom Tribunal profitiert. Internationale Kritik war verpönt, national übte die kambodschanische Regierung enormen Einfluss aus. Richterliche Unabhängigkeit wurde nur durch die internationalen Vertreter gewährleistet.
Tuol Sleng und Choeung Ek müssen Weltkulturerbe werden
Die Arbeit, Ergebnisse und Skandale des Tribunals haben in Kambodscha nach einer anfänglichen Neugierde kaum jemanden interessiert. Die Gesellschaft schaut nach vorne und ignoriert die eigene Geschichte weitgehend, abgesehen von wenigen elitären Ausnahmen und Nichtregierungs-Organisationen. Dass Deutschland vor allem Aufarbeitung gefördert sowie zivile Nebenkläger und Opfer unterstützt hat, gehört sicher zu den wenigen positiven Ausnahmen, die hervorgehoben werden können.
Was kommt noch? Erstens warten jetzt alle auf das Ableben von Khieu Samphan, um den Deckel endgültig auf das Kapitel Khmer Rouge Tribunal drauf machen zu können. Zweitens will es dann Wissenschaftlern Zugang zu den Dokumenten erlauben, was vielleicht noch die eine oder andere Erkenntnis verspricht. Und drittens nehme ich mir an dieser Stelle die Freiheit und fordere die kambodschanische Regierung und die UNESCO auf, nach dem Vorbild von Auschwitz-Birkenau das ehemalige S 21-Foltergefängnis (heute Tuol Sleng Museum) in und die Mordstätte Choeung Ek bei Phnom Penh zum Erbe der Menschheit zu erheben.
Damit nichts vergessen wird und solche Verbrechen nie wieder passieren.