
Siegfried Blunk arbeitet seit 1. Dezember 2010 als Ermittlungsrichter am Khmer Rouge-Tribunal. (Foto: ECCC)
Das Khmer Rouge-Tribunal, offiziell „Außerordentliche Kammern an den Gerichten von Kambodscha“ (ECCC), erlebt nunmehr seit einigen Wochen die elementarste Krise seit seiner Arbeitsaufnahme im Jahr 2007. Bei seiner Gründung war es das implizite Ziel der internationalen Gemeinschaft, in keine Situation zu geraten, in der der Strafgerichtshof unter innenpolitischen Druck der kambodschanischen Regierung geraten könnte – die politische Festlegung der nationalen Richter, der Anklage und der Verwaltung galt und gilt weiterhin als gegeben. Jetzt ist ausgerechnet ein deutscher Richter auf die Linie von Premierminister Hun Sen eingeschwenkt, was das Tribunal in seinen Grundfesten so sehr erschüttert, dass man sogar fürchten muss, dass sich der Strafgerichtshof davon nicht mehr erholt.
Das Tribunal ist mandatiert, Strafprozesse gegen die Top-Kader der Roten Khmer für die Verbrechen zwischen 1975 und 1979 einzuleiten. Mit Kaing Guek Eav, der unter seinem Kampfnamen Duch das Foltergefängnis S-21 in Phnom Penh leitete, ist 2010 bereits der erste Angeklagte – wenn auch noch nicht letztinstanzlich – verurteilt worden. Am 27. Juni beginnt nun endlich der Hauptprozess für die engsten noch lebenden Gefolgsleute von Pol Pot: Nuon Chea, Khieu Samphan, Ieng Sary und Ieng Thirith. Seit einigen Jahren wird seitens der internationalen Ankläger versucht, einen dritten und vierten Prozess anzustrengen, wogegen sich Regierungschef Hun Sen immer in aller Deutlichkeit ausgesprochen hat. Seine Gefolgsleute im Gericht haben in keinem Moment des Verfahrens erkennen lassen, von diesen Anweisungen unbeeindruckt zu sein.
Es war noch nie ein Geheimnis, dass zum Kreis der weiteren potentiellen Angeklagten Marinekommandeur Meas Muth und Ex-Luftwaffenchef Sou Met gehören. Auf der einen Seite ist es wohl keine große Herausforderung, angesichts der maßlosen Verbrechen der Roten Khmer irgendeinem Funktionär die Anordnung konkreter Gräueltaten vorzuwerfen. Auf der anderen Seite liegen aber so konkrete Indizien und Beweise vor, dass eine juristische Anklage glasklaren Aussicht auf Erfolg hat – das haben vor allem die Experten Steve Heder und Brian Tittemore 2001 in ihrem Buch Seven Candidates for Prosecution: Accountability for the Crimes of the Khmer Rouge dargelegt.
Pflichtschuldig hat der damalige internationale Chefankläger Robert Petit (Kanada) im November 2008 seine Vorermittlungen den zuständigen Ermittlungsrichtern Marcel Lemonde und You Bunleng weitergeleitet – seine kambodschanische Kollegin Chea Leang, Nichte des stellvertretenden Premierministers Sok An, hat das Dokument allerdings nicht unterschrieben. Jenes tribunal-interne Schriftstück tauchte in der letzten Woche unvermittelt in der Öffentlichkeit auf. Wie der Christian Science Monitor berichtet, stelle es ein robustes Fundament für das Vorgehen der Ermittlungsrichter dar, die in zwanzig Monaten – so nach Meinung zahlreicher unabhängiger Beobachter – eine hochgradig schlampige Arbeit leisteten und den Anhaltspunkten nicht nachgingen.
In den Statuten des Tribunals ist allerdings vorgesehen, dass ohne ein positives Votum der Ermittlungsrichter, zu denen seit Ende 2010 statt des Franzosen Lemonde der deutsche Siegfried Blunk gehört, keine Anklage vorgebracht werden kann. Und dieses Votum ist trotz der erdrückenden Faktenlage bisher nicht nur ausgeblieben, sondern die Fälle drei und vier stehen für die Ermittlungsrichter ganz offensichtlich überhaupt nicht zur Debatte. Seit Ende April hat sich nun ein Showdown zwischen Blunk und dem internationalen Ankläger Andrew Cayley entwickelt, der auf das heftigste ausgetragen wird und stellvertretend für die gesamte Zerrissenheit des Tribunals steht. Neu ist lediglich, dass diese Zerrissenheit nun auch durch das internationale Lager geht, und da steht der deutsche Blunk allein auf weiter Flur.
Während der Brite Cayley mit allen Mitteln, auch öffentlich vorgetragener Kritik, um die weiteren Anklagen kämpft, agiert Blunk in einer Art und Weise, die mehr an wilhelminische Gutsherrenart denn an einen verantwortungsbewussten Richter erinnert. Zunächst wies er Cayleys Kritik, die Ermittlungsrichter wollten die Fälle drei und vier „begraben“, mit einer Drohung zurück, der Ankläger habe zwei Tage Zeit, sich für diese „unverschämte“ Äußerung zu entschuldigen. Zunehmend rätselte die Öffentlichkeit darüber, was Blunk umtreibt, denn der Richter verweigert bisher jeden Kontakt mit Journalisten. Am 7. Juni wies der deutsche Kadi zusammen mit seinem kambodschanischen Kollegen den Antrag Cayleys zurück, weitere Ermittlungen für die Fälle drei und vier aufzunehmen. Der Brite soll, wie die Phnom Penh Post berichtet, bei der Antragstellung einen Formfehler begangen haben. In Folge dessen haben mindestens fünf von Blunks Mitarbeitern ihre Anstellung im Tribunal gekündigt, darunter auch der renommierte Wissenschaftler und Khmer Rouge-Experte Steve Heder, der den Ermittlungsrichtern mit seinem Sachverstand über Jahre zur Seite stand. In einer offiziellen Stellungnahme begrüßten die Ermittlungsrichter den Rückzug aller Mitarbeiter, „die die alleinige Verantwortlichkeit der ermittelnden Richter in dieser Angelegenheit ignorierten.“
Nicht wenige Beobachter fragen sich ernsthaft, ob nun ein an Spitzfindigkeit grenzender Formfehler mögliche Massenmörder vor Strafverfolgung schützen darf. Oder, was den Kern der Sache genauer trifft: Wie das Tribunal überhaupt seine Verantwortung wahrnimmt, die kolossalen Verbrechen der Roten Khmer juristisch aufzuarbeiten. Von der kambodschanischen Seite hatte man nie erwartet, dass sie in den Prozessen führende Rollen einnehmen würde. Die Hoffnung ruhte allein auf den internationalen Profis, und deswegen ist die Enttäuschung derzeit so riesengroß. Ins Zentrum der Kritik ist nunmehr ganz allein „Herr Doktor Siegfried Blunk“, wie er in Anspielung auf seine Herkunft bereits in kritischen Blogs wie dem von KI-Media genannt wird, gerutscht. Rücktrittsforderungen wie etwa von der Aktivistin und Nebenklägerin Theary Seng kursieren schon seit einigen Tagen, was angesichts seines skandalösen Verhaltens durchaus verständlich ist.
Nur die Motivlage Blunks, der auf diesen Posten aus seiner Pensionierung reaktiviert wurde, bleibt weiterhin unklar. Es scheint allerdings unwahrscheinlich, dass sein Fehlverhalten nur in seiner Person zu suchen ist – dafür müsste er einem derart widerwärtigen Wertesystem verpflichtet sein, dass ihm wohl selbst seine Kritiker niemals zubilligen würden. Damit fällt der Verdacht auf Fremdbestimmung, die aber kaum auf Hun Sen oder einen seiner Handlanger zurückgeführt werden kann. Vieles spricht hingegen dafür, dass die Entscheidung, keine weiteren Fälle mehr zuzulassen, schon längst auf politischer Ebene getroffen wurde. Nach dem Rücktritt von Marcel Lemonde, der mit diesem Skandal wohl nichts zu tun haben wollte, haben die Vereinten Nationen wahrscheinlich einen Richter gesucht, der keinen Karriereknick mehr zu fürchten hatte. Sicherlich ist die Entscheidung nicht leicht gefallen, Verbrecher laufen zu lassen und Opfer zu brüskieren, aber das gesamte Tribunal hätte die Hauptverhandlung, die noch in diesem Monat beginnt, kaum er- geschweige denn überlebt, hätten die Vereinten Nationen auf weitere Anklagen bestanden – Hun Sen war in ihren Augen wohl zu allem bereit. Oder Ban Ki-moon, der im Herbst 2010 zuletzt in Phnom Penh weilte und just Anfang Juni Bun Rany, die Gattin des kambodschanischen Premierministers, in New York öffentlichkeitswirksam mit der Übereichung der Urkunde zum „nationalen Champion“ ihres Heimatlandes kürte, hat allein seine Wiederwahl im Blick und sichert sich mit diesem Zugeständnis eine weitere Stimme.
Damit sollte Siegfried Blunk jedoch keineswegs von seiner individuellen Verantwortung freigesprochen werden. Richter, die externe Weisungen erhalten und im Amt umsetzen, können nicht Teil einer Gerichtsbarkeit sein, die für sich notwendigerweise politische Unabhängigkeit reklamiert. Und wer seinen Pflichten als Richter derart offensichtlich nicht nachkommt, sollte Rücktrittsforderungen sehr ernst nehmen. Denn es geht hier nicht um eine geklaute Kokosnuss, sondern um die justizielle Aufarbeitung eines Jahrhundertverbrechens. Oder besser um die Nicht-Aufarbeitung, mit der Blunk in die Geschichtsbücher einziehen dürfte.
Wenn nur er persönlich dafür geradestehen muss, könnte man die ganze Angelegenheit aus der Ferne vielleicht mit einem Achselzucken quittieren. Soll Blunk das doch allein mit seinem Gewissen ausmachen! Doch so einfach ist es nicht, es könnte gut und gerne dereinst auch heißen: „Es war ein Richter aus Deutschland, der die Aufarbeitung des Terrorregimes der Roten Khmer in Kambodscha sabotierte.“
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