Die Proteste der Opposition haben Hun Sen bisher nicht wirklich in Bedrängnis gemacht. Auslandsreisen stünden wohl nicht in seinem Terminkalender, wenn ihm zu Hause das Wasser bis zum Hals stünde: In dieser Woche weilt Kambodschas Regierungschef auf Staatsbesuch in Vietnam, während „seine“ Hauptstadt am vergangenen Sonntag zum Schauplatz der größten Demonstration gegen ihn überhaupt geworden ist. Ob die Proteste auch Thema in Hanoi sind oder ob Hun Sen sogar um Rückendeckung im Umgang mit der Opposition bittet, ist nicht bekannt. Doch unbestritten ist, dass seine Präsenz daheim dringend erforderlich wird, falls es der Opposition zumindest annähernd gelingen sollte, am kommenden Sonntag eine Millionen Menschen in Phnom Penh zusammenzubringen, wie sie sich es selbst zum Ziel gesetzt hat.
Allerdings wird es die Opposition kaum schaffen, diese Zahl mit eigenen Anhängern zu erreichen. Daher arbeitet sie weiter daran, aus den politischen Protesten eine Sammlungsbewegung aller unzufriedenen Kambodschaner zu schmieden. Und mit diesem Versuch könnte sie einen neuralgischen Punkt des Regimes treffen: Mit Forderungen nach einem Mindestlohn über 160 US-Dollars versucht die oppositionelle Partei zur Rettung der kambodschanischen Nation (PRKN), die Arbeiterinnen der Bekleidungsindustrie auf ihre Seite zu ziehen. Die guten Beziehungen von PRKN-Präsident Sam Rainsy zur FTU, einer der größten Gewerkschaften der Branche, reichen in die 90er Jahre zurück, und auch sonst genießt die Opposition eine Menge Sympathien in der Arbeiterschaft. Mit ihren mehr als 400.000 Beschäftigten erwirtschaftet die Branche rund 85% der Exporte Kambodschas und nimmt damit eine exponierte Bedeutung in der Volkswirtschaft ein. Dauerhafte Proteste, verunsicherte Fabrikbesitzer und schlimmstenfalls Produktionsausfälle könnte sich Kambodscha angesichts der regionalen Konkurrenz nicht leisten.
Obwohl erst im Frühjahr der Mindestlohn auf 80 US-Dollar angehoben wurde, sah sich die Regierung am Dienstag genötigt, eine weitere Erhöhung auf 95 US-Dollars (inklusive aller Zusatzleistungen) ab April 2014 bekanntzugeben. Doch der Spielraum ist insgesamt begrenzt, und zu hohe Mindestlöhne könnten durchaus zu einem Exodus der Fabriken führen. Daher ist klar, dass der Regierung die Hände gebunden sind und sie den utopischen Forderungen der Opposition, so populär sie auch erscheinen mögen, gar nicht nachkommen kann. Dumm nur, dass man allein die Regierung (und Hun Sen als ihr Kopf) dann wieder für die schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen der Näherinnen verantwortlich machen kann.
Doch diese Details spielen keine Rolle, wenn einer Person der Gegenwind so stark ins Gesicht bläst wie Hun Sen. Was hat er dem entgegenzusetzen? Oder will er diese, aus seiner Sicht nur vorübergehenden Proteste aussitzen und eine Lösung auf dem Verhandlungsweg erreichen? Ist es aber dafür nicht schon längst zu spät? Fragen, auf die es aktuell keine Antworten gibt – und vielleicht auch so bald nicht geben wird.
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