Endlich, sieben Wochen nach den Streiks, die fünf kambodschanischen Textilarbeitern das Leben, dutzenden ihre Gesundheit und mehr als zwanzig die Freiheit kostete, scheint der Schuldige gefunden worden zu sein: Es ist – Überraschung – die mediale Berichterstattung! Das scheint zumindest die einheitliche Sichtweise der kambodschanischen Regierung und der internationalen Textilproduzenten zu sein, die in diesen Tagen in Phnom Penh hinter verschlossenen Türen zu Gesprächen zusammengekommen sind. Als Teilnehmer aus dem Kreise der Produzenten erwähnt der Cambodia Daily H&M, Gap und Puma.
Da darf man sich schon fragen, wer nun perfider argumentiert: Auf der einen Seite führt der stellvertretende Premierminister Keat Chhon aus, das Vorgehen sei gerechtfertigt gewesen, um das Eigentum (der Fabrikbesitzer) und die Verfassung zu schützen. Man merkt gleich: Steine, Mörtel und Nähmaschinen scheinen für die kambodschanische Regierung einen größeren Wert als ein Menschenleben zu besitzen. Doch diese Darstellung ist, zugegeben, sehr einseitig: Wenn kambodschanische Bauern von ihrem Grund und Boden vertrieben werden, weil große Agrounternehmen, beispielsweise die von der EU geförderten Zuckerproduzenten, Platz für ihre Monokulturen benötigen, dann vergisst die kambodschanische Regierung ihren selbstdefinierten Primärauftrag, Besitz zu schützen, wieder ganz schnell. Man merkt also: Der kambodschanische Staat sieht seine Rolle vornehmlich darin, den Wohlstand der Besitzenden zu wahren und mehren und die Ansprüche der Habenichtse mit äußerster Brutalität zu unterdrücken. Und das seit Jahren systematisch und vor den Augen der Weltöffentlichkeit einschließlich Deutschlands, die diese kambodschanische Regierung in ihren Bemühungen mit Unsummen fördert.
Nun zur anderen Seite: Es verwundert schon, wie ungeschoren die großen westlichen Textilproduzenten in den letzten Wochen davongekommen sind. Obwohl sie nichts, aber auch gar nichts taten, um die kambodschanische Regierung in den Tagen vor dem 4. Januar, in denen sich die Katastrophe bereits abzeichnete, davon abzuhalten, mit Tötungsabsichten gegen die Streikenden vorzugehen. Obwohl sie es bisher vermieden haben, den Eindruck zu erwecken, dass sie ein Menschenleben mehr schätzen als die kambodschanische Regierung. Obwohl es offensichtlich ist, dass die lokalen Subunternehmen, organisiert im Arbeitgeberverband GMAC, kaum mehr als Strohleute der Großkonzerne sind. Obwohl aus diesem Grund allein sie die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen vor Ort tragen, insbesondere für einen menschenwürdigen Lohn – die konkrete Ausgestaltung müsste lediglich in den Verträgen mit den Subunternehmen festgelegt und von unabhängiger Seite kontrolliert werden. Obwohl jeder weiß, dass das Problem der kambodschanischen Medien nicht die einseitige Berichterstattung gegen die Regierung ist, sondern ihre Unfreiheit am Gängelband selbiger, die Reporter ohne Grenzen erst jüngst wieder attestiert hat. Und obwohl man sich, wenn man die Funktionslogiken im Machtsystem Hun Sen kennt, durchaus die Frage stellen darf, worin die Gegenleistung der Unternehmen besteht, wenn sie auf Kosten der Arbeiterschaft so glänzende Geschäfte in Kambodscha machen kann.
Es ist eine wertfreie Allianz aus politischer Macht und Großkapital, die nicht nur in Kambodscha ihr Unwesen treiben darf, solange es niemanden gibt, der dagegen protestiert.
(Grafiken: Wikipedia)
Hat dies auf Living in SouthEast Asia. rebloggt.
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