Der Mythos ihrer Unbesiegbarkeit ist seit den Parlamentswahlen 2013 Geschichte – erstmals seit zwei Jahrzehnten müssen sich Regierungschef Hun Sen und seine regierende Kambodschanische Volkspartei (KVP) ernsthaft mit dem Gedanken eines möglichen Machtverlusts auseinandersetzen. Befindet sich Kambodscha aber tatsächlich schon am Vorabend einer Götterdämmerung? Vieles wird davon abhängen, wie die seit den 1980er Jahren regierende KVP auf die neue Konstellation reagiert. Am Wochenende trafen sich ihre Delegierten (die Medien schwiegen darüber, wie diese bestimmt wurden) zu einem außerordentlichen Parteikongress, bei dem hinter verschlossenen Türen auch über die Konsequenzen der Verluste von 2013 gesprochen wurde. Dazu kursierte ein 26-seitiger Bericht, in dem vor allem „interne Dysfunktionen“ und Korruption als Gründe des schlechten Abschneidens der KVP genannt wurden. Auch an anderen Stellen wird deutlich, dass die Regierungspartei durchaus noch einen Bezug zur Realität besitzt und zur Selbstkritik fähig ist; welche Schlussfolgerungen sie daraus aber ziehen wird, steht weiter in den Sternen – schließlich ist der Einfluss der alten Garde, die bereits vor über 30 Jahren unter den vietnamesischen Besatzern die höchsten Staatsämter einnahm, nach wie vor ungebrochen.
Eine erste Antwort wurde in unnachahmlicher KVP-Art dann doch noch gefunden: Da die Partei mittlerweile auch erkannt hat, dass die meisten Wähler noch keine 30 Jahre alt sind, soll sich das KVP-Zentralkomitee nun auch sukzessive verjüngen – womit bei den Ex-Kommunisten die Beförderung von Parteimitgliedern unter 50 Jahren (in dem Alter sind die meisten Kambodschaner schon Großeltern) verstanden wird. Aber anstatt den einen oder anderen Greis in den „wohlverdienten“ Ruhestand zu verabschieden (selbst Parteipräsident Chea Sim war aus gesundheitlichen Gründen abwesend), wurde das Gremium von 239 um 128% auf 545 Mitglieder aufgebläht, während das Politbüro – das eigentliche Machtzentrum – unverändert blieb.
Zu den Neuen gehören wenig überraschend zahlreiche Prinzlinge (darunter auch die drei Hun-Söhne Maneth, Manith und Many, wobei man sich fragt, warum seinen Töchtern eine politische Karriere so konsequent versperrt bleibt) der Altkader – und mehrere hochkarätige Angehörige des Sicherheitsapparats. Spricht ihre Aufwertung nun eher für eine Stärkung der Hardliner oder will die Führung ihre wichtigsten Armee- und Polizeigeneräle in die Parteidisziplin und damit unter den Primat der Politik integrieren? Das wäre auch bitter nötig: Sao Sokha, Kommandeur der Militärpolizei und einer der engsten Vertrauten von Hun Sen, hatte unlängst zugegeben, von Adolf Hitler gelernt zu haben, insbesondere aufgrund dessen Durchsetzungsvermögen in den 1930er Jahren (bekanntlich zur Umwandlung einer Demokratie in eine Diktatur). Auch Verteidigungsminister Tea Banh hatte im Dezember ein sehr seltsames Amtsverständnis erkennen lassen: Bei der Einweihung eines neuen Gebäudes der Brigade 70 sprach er davon, vorsichtig zu sein und dem „Feind“ keine Tricks zu erlauben, um die Regierung zu stürzen. Mit dem „Feind“ war in diesem Fall aber keine ausländische Macht, mit der sich Kambodscha im Krieg befindet, sondern die parlamentarische Opposition gemeint. Apropos Brigade 70: Erst im Oktober – kurz nach ihrem 20. Gründungstag – war bekannt geworden, dass die Truppe ab Januar 2015 um 700 Soldaten aufgestockt wird. Die Brigade 70 gilt neben Hun Sens Bodyguard-Miliz gemeinhin als das militärische Rückgrat des Regimes und war in den letzten zwei Jahrzehnten in alle möglichen Menschenrechtsverletzungen involviert. Außerdem ist sie maßbeglich an der illegalen Rodung der tropischen Regenwälder beteiligt – Loyalität hat schließlich ihren Preis. Und es ist davon auszugehen, dass sie ihrem Herren nicht zur Landesverteidigung dient, sondern einen eindeutig innenpolitischen Auftrag hat.
Zu diesen eher besorgniserregenden Tendenzen passt ins Bild, dass die Verhandlungen zwischen regierender KVP und der oppositionellen Partei zur Rettung der kambodschanischen Nation (PRKN) über das neue Wahlgesetz und die damit zusammenhängende Neuorganisation der Wahladministration ins Stocken geraten sind. Obwohl sich bisher andeutete, dass es nicht lediglich bei kosmetischen Korrekturen bleibt, gingen die Vorstellungen beider Parteien in den letzten Wochen wieder auseinander. Die 2014 ausgerufene „Kultur des Dialoges“ nahm dann aber spätestens mit der Drohung Hun Sens, mehrere Oppositionspolitiker ins Gefängnis werfen zu wollen, falls es nicht bald zu einer Einigung kommen sollte, schweren Schaden.
Vor diesem Hintergrund war es dann schon mehr als auffällig, dass PRKN-Präsident Sam Rainsy und Innenminister Sar Kheng in ihrer neuen Funktion als Sprecher ihrer Parlamentsfraktionen in der letzten Woche zu einem Gespräch zusammenkamen und eine gemeinsame Pressekonferenz gaben, die trotz aller Unterschiede von gegenseitigem Respekt und Sachlichkeit geprägt war. Ist das nun das alte Spiel „böser Cop (Hun Sen)/guter Cop (Sar Kheng)“ auf Kambodschanisch? Oder ein erstes Anzeichen unterschiedlicher Vorstellungen innerhalb der KVP über die weitere Vorgehensweise? Sar Kheng hat sich in den letzten Jahren als durchaus gemäßigter KVP-Politiker profiliert und ist seit den Parlamentswahlen 2013 in der internen Hierarchie auf die zwei Position direkt hinter Hun Sen vorgerückt. Obwohl er als Innenminister einer der einflussreichsten Politiker des Landes ist, hat es selbst Human Rights Watch bisher nicht geschafft, ihm oder einem seiner Mitarbeiter eine persönliche Involvierung in Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen.
Hinter den Kulissen dürfte wohl weiter um den Kurs der KVP gerungen werden. Dass dabei auch über einen längeren Zeitraum unterschiedliche Signale an die Öffentlichkeit gesendet werden, ist praktisch sicher. Noch wäre es aber zu früh, sie als erste Risse in der bemerkenswerten Disziplin der KVP zu deuten.
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