
Wie Kambodscha einst gewählt hat – und was sich nun ändert. Quelle: Phnom Penh Post.
Wenn der Tod der kambodschanischen Demokratie der 3. September war – die Verhaftung von Oppositionsführer Kem Sokha und der letzte Arbeitstag des Cambodia Daily –, dann wurden heute, am 16. November, ihre sterblichen Überreste zu Grabe getragen: Kambodschas durch und durch politisierter oberster Gerichtshof hat mitgeteilt, dass die Partei zur Rettung der Kambodschanischen Nation (PRKN/CNRP) aufgelöst wird. Wohlgemerkt mitgeteilt, denn die Entscheidung dürfte ganz sicher ein Mann ganz alleine getroffen haben, und zwar vor Wochen, wenn nicht gar seit viel längerer Zeit. Premierminister Hun Sen entledigt sich mit der CNRP jedenfalls der einzigen relevanten Oppositionspartei, der durchaus zugetraut wurde, den Langzeit-Autokraten bei zumindest halbwegs freien und fairen Parlamentswahlen – angesetzt für den 29. Juli 2018 – zu schlagen.
Mit der heutigen Entscheidung verlieren alle 55 Parlamentsabgeordnete der CNRP ihr Mandat, welche zur Etablierung einer Scheinopposition überwiegend an kleinere Parteien vergeben werden, denen wohl nicht im Traum einfallen würde, dieses Geschenk aus moralischen Gründen abzulehnen. Damit einhergehend wurde 118 Spitzenfunktionären der Opposition ein fünf Jahre währendes Berufsverbot als Politiker auferlegt. Tatsächlich ist das aber nur die Spitze des Eisbergs, denn die CNRP verliert auch als Sitze 5.007 Sitze, die sie erst im Juni bei den Gemeinderatswahlen gewann. Diese Mandate werden Hun Sens regierender Kambodschanischer Volkspartei (KVP) zugeschlagen, was den Plan genauso perfide wie durchschaubar erscheinen lässt. In seiner unendlichen Großzügigkeit bietet der Regierungschef immerhin allen Kommunalpolitikern der CNRP an, dass sie ihre Posten behalten können, wenn sie zur KVP überlaufen. Die dazu gesetzte Frist musste er aber bereits verlängern, weil bisher noch nicht einmal 200 Personen von diesem Angebot Gebrauch gemacht haben. Als weitere „Motivation“ hat er aber bereits allen strafrechtliche Konsequenzen angedroht, die dieses Angebot auch weiterhin ausschlagen.
Möglich macht es ein Rechtsverständnis, das sich weder an der Verfassung noch an anderen konkreten Gesetzen orientiert, sondern allein dem Willen eines einzigen Mannes unterworfen ist. Ausschlaggebend soll der – natürlich auch an den Haaren herbeigezogene – Hochverrat von Kem Sokha sein und die Regelung des kambodschanischen Parteienrechts, dass politische Parteien nicht von verurteilten Straftätern geführt werden dürfen. Diese erst Anfang des Jahres eingeführte „Lex CNRP“ verfolgte wohl nur eine Absicht, nämlich einen Hebel zur Auflösung der Opposition zu konstruieren. Dabei gibt es noch nicht einmal ein rechtskräftiges Urteil gegen Kem Sokha, selbst das Gerichtsverfahren hat noch nicht begonnen. Was sich jetzt vielleicht wie juristische Haarspalterei anhört, könnte einst noch von Bedeutung sein: Die Auflösung der CNRP ist nicht nur materiell, sondern bereits formal rechtswidrig.
Aber selbst dieser Tiefpunkt der Lächerlichkeit wird mit der Bemerkung der Staatsanwältin, der bekannten Chea Leang (Nichte des verstorbenen Sok An, über fast vier Jahrzehnte einer der engsten und loyalsten Mitarbeiter von Regierungschef Hun Sen), noch einmal unterboten:
“The prosecutor thinks that activity of Kem Sokha, Sam Rainsy and CNRP’s leaders from 1993 to 2017 are illegal.”
Wohlgemerkt wurde die CNRP erst 2012 gegründet, aber viel interessanter erscheint dann doch die vollständige Ablehnung effektiver demokratischer Prinzipien, vorgetragen durch eine der obersten Vertreterin des kambodschanischen Staats. Nach diesem Selbstverständnis begehen alle, die die Herrschaft der KVP und ihres Präsidenten in Frage stellen (egal ob auf legalem Weg oder anderweitig), grundsätzlich per Definition einen Rechtsbruch. Da kann Opposition natürlich nur dann existieren, wenn sie schwach ist und keine echte Herausforderung des Regimes darstellt.
Es steht also außer Frage, dass die CNRP Opfer ihres eigenen Erfolges wurde, auch wenn sie selbst nicht frei von schweren Fehlern ist. Doch den dürfte Hun Sen mit der Auflösung der CNRP wohl selbst begangen haben, denn ein Sieg über eine angeschlagene Opposition bei den kommenden Wahlen ist – sowohl im In- als auch im Ausland – doch deutlich mehr wert als die implizite Aussage, dass er sich selbst gar nicht mehr traut, gegen die CNRP anzutreten. Aber vielleicht wog der Verlust eines knappen Drittels der kambodschanischen Gemeinden doch zu schwer, sodass er sich genötigt sah, nun Tabula rasa zu machen. Was ihm aber nur sehr bedingt gelingen wird, wie Parteisprecher Yim Sovann heute treffend auf den Punkt brachte:
“They cannot remove the CNRP from the heart of the people”
In der Tat ist es nicht frei von Risiko, eine Partei zu verbieten, die erst im Juli landesweit knapp 44% aller Stimmen auf sich vereinigte. Dass aber weder nach der Verhaftung von Kem Sokha, noch heute und wahrscheinlich auch nicht in naher Zukunft selbst kleinste Demonstrationen stattfinden, spricht trotz der durchaus einschüchternden Sicherheitsmaßnahmen eine deutliche wie bedenkliche Sprache für die Wertbeimessung demokratischer Prinzipien in Kambodscha. Immerhin kehrt Sam Rainsy, der die Opposition zwischen 1995 und Februar 2017 führte, hochoffiziell wieder zurück zur CNRP. Auch wenn er sie nie wirklich verlassen hatte, ist das Signal doch recht deutlich: Wir werden auch vom Ausland aus mit allen legalen Mitteln für den politischen Wandel kämpfen.
Soweit reicht selbst der lange Arm von Hun Sen nicht. Die CNRP ist vielleicht aufgelöst, aber noch nicht am Ende.
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