Den Finger dick mit Salz bestreuen und ihn dann in die offene Wunde legen: Die Verteidiger des Massenmörders Nuon Chea, während der Terrorherrschaft der Roten Khmer „Bruder Nummer zwei“ und Stellvertreter Pol Pots, haben am Stadtgericht Phnom Penh Klage gegen Premierminister Hun Sen sowie weitere hochrangige Minister und Beamte eingereicht. Wie Reuters berichtet, wurde die Klage mit der Einflussnahme der Regierung auf die Verfahren am Khmer Rouge-Tribunal begründet, weswegen auch der umstrittene deutsche Ermittlungsrichters Siegfried Blunk erst in diesem Monat seinen Rücktritt erklärt hatte.
Der Zeitpunkt ist – keine Frage – gut gewählt, und die Anwälte Michiel Pestman (Niederlande) und Andrew Ianuzzi (USA) lassen jedenfalls alle Hemmungen fallen und beschuldigen die Ministerriege und ihren Chef, einen „gemeinsamen kriminellen Plan“ zu verfolgen um damit einen fairen Prozess zu vermeiden. Hun Sen, Khieu Sopheak (Sprecher im Innenministerium), Khieu Kanharith (Informationsminister), Hor Namhong (Außenminister) und Phay Siphan (Regierungssprecher) seien die „Anstifter“ des Plans – „alternativ“ seien die letzten vier genannten lediglich Komplizen des „Haupttäters“ Hun Sen. Ferner sollen strafrechtliche Ermittlungen gegen Chea Sim (Senatspräsident und Vorsitzender der regierenden KVP), Heng Samrin (Parlamentspräsident), Keat Chhon (Wirtschafts- und Finanzminister), Kong Sam Ol (Minister des Königspalasts), Ouk Bunchhoeun und Sim Ka (beide Senatoren) aufgenommen werden.
Die Belege, die sie auf neun Seiten aufführen, nähren selbstredend einen schweren Anfangsverdacht. Dennoch wird die Klage – da in Kambodscha Gesetze nur dann zur Anwendung kommen, wenn sie den Interessen der herrschenden Politikerkaste nicht widersprechen – rechtlich keine Konsequenzen haben. Das Vorgehen der Beschwerdeführer ist vielmehr taktischer Natur: Sie wollen die Regierung, die sich in den letzten Jahren kaum vergleichbaren Anwürfen aus dem eigenen Land ausgesetzt sah, provozieren, damit diese bestenfalls das gesamte Tribunal auflöst, um dadurch ihrem Mandaten eine sichere Verurteilung zu ersparen. Und das geht für einen erfahrenen Advokaten kaum einfacher als die zahllosen Widersprüchlichkeiten im kambodschanischen Rechtssystem zu nutzen – wo Gesetze oft nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben wurden.
Die Frage ist nun nicht, ob die internationalen Anwälte Kambodscha einst wieder in guter Gesundheit werden verlassen können (davon kann man ausgehen), sondern ob die Regierung weiter mit markigen Sprüchen die fundamentalen Widersprüche im Justizwesen wird überdecken können, für die allein sie verantwortlich ist. Das könnte dieses Mal durchaus noch gut gehen, aber in den am 21. November beginnenden Verhandlungen gegen Nuon Chea, Khieu Samphan, Ieng Sary und – trotz ihrer Demenz – wohl auch gegen Ieng Thirith geht es dann für die ehemaligen Roten Khmer um Hun Sen ans Eingemachte. Daher werden sie diese Provokation durchaus als Warnschuss verstehen, auf den weitere Versuche folgen werden.
Aber die offene Wunde, von der hier anfangs die Rede war, gehört nicht der Regierung, sondern den Vereinten Nationen. Die UN als Co-Veranstalter des Tribunals hat kläglich versagt, die angesprochenen Dysfunktionalitäten rechtzeitig anzusprechen und aus dem Weg zu räumen, damit die Verfahren überhaupt erst auf einem gewissen Niveau durchgeführt werden können. Diese Versäumnisse müssen sich zwangsläufig rächen, und schon seit einigen Monaten können Ban Ki-moon und Anhang nur noch hilflos zuschauen, wie ihr rund 150 Millionen Dollar teures Kartenhaus in sich zusammenfallen droht. Viel fehlt jedenfalls nicht mehr: Schon der nächste Windstoß könnte der letzte sein, und einige Protagonisten dürften insgeheim schon tief Luft holen.
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