Kambodschas Langzeit-Premierminister Hun Sen (in diesen Tagen jährt sich seine Ernennung zum Regierungschef durch Vietnam zum 29. Mal) hat die erste große Herausforderung seiner Herrschaft seit 1998 gewaltsam überstanden. Das ist im Ergebnis nicht überraschend, eher der Mut der Opposition und der Näherinnen war in dieser Form nicht zu erwarten gewesen. Sie haben dem Regime eindrucksvoll gezeigt, wie unzufrieden viele Kambodschaner heute sind. Doch der Blutzoll war hoch: Zusammen mit den beiden Todesopfern im September und im November haben während den Widerstandsaktionen insgesamt sieben Menschen ihr Leben gelassen. Allein während des Massakers am 3. Januar waren fünf Menschen ums Leben gekommen, mindestens 42 weitere wurden teils schwer verletzt. Augenzeugen zufolge habe die Militärpolizei gezielt Menschen getötet – was dem Tatbestand des Mordes entspräche, da eine unmittelbare Gefährdung der Polizisten, die eine solche extreme Gegenmaßnahme erforderlich gemacht hätte, überhaupt nicht gegeben war. Aber das Regime spielt (wen überrascht‘s?) die langweilige alte Leier: Die Militärpolizei habe niemanden erschossen, und man wisse nicht, wie die Menschen ums Leben gekommen seien, aber eine Untersuchung der Ereignisse werde es auch nicht geben. Im Übrigen habe die Militärpolizei an jenem Freitag ethisch gehandelt. An der Kultur der Straflosigkeit und des Rechtsbruchs hat sich also nichts, aber auch gar nichts geändert.
Jetzt herrscht erst einmal wieder Ruhe in Phnom Penh. Die allermeisten Näherinnen sind bereits wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt (lediglich einige Lehrer streiken aktuell noch für ein Monatseinkommen über 250 US-Dollar mit Garantie auf Verdoppelung in den nächsten Jahren), und die Opposition hat angekündigt, die Proteste in der Hauptstadt auszusetzen und sich lieber der Graswurzelarbeit in den Provinzen zu widmen. (Das dürfte nicht nur die Fabrik- und Hotelbesitzer freuen, sondern auch Japan und Südkorea, die während den Protesten jeweils die kambodschanische Regierung baten, den Besitz ihrer Landsleute zu schützen. Man kann sagen, dass das den Militärpolizisten mit der Kalaschnikow im Anschlag auch recht erfolgreich gelungen ist. Die Ostasiaten dürften also sehr glücklich sein!)
Ist es nun ein geschickter Schachzug von Opposition und Gewerkschaftern, nach diesem harten Durchgreifen der Regierung zunächst zu verschnaufen, neue Strategien zu entwickeln und Kräfte zu sammeln? Oder zeigt diese Episode nicht viel eher, dass der Opposition der Mumm fehlt, Hun Sen im richtigen Moment die Stirn zu bieten? Frei nach Franz Müntefering: Kann Sam Rainsy Revolution? Für den Fall, dass Hun Sen seiner Forderung nach Neuwahlen nicht nachkommt, hat er eine „endgültige Aktion“ angekündigt, die Hun Sen zwingen werde, zurückzutreten. Darüber hinaus arbeitet ein internationaler Anwalt der Opposition an einer Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof, wo sich Hun Sen seiner Verantwortung für die Gewaltorgie vom 3. Januar stellen soll. Doch zunächst geht’s für Sam Rainsy selbst vor den Kadi: Zusammen mit seinem Vize Kem Sokha und dem Gewerkschafter Rong Chhun muss er sich am Dienstag vor dem Stadtgericht Phnom Penh für seine Rolle während den Protesten äußern – ein Haftbefehl ist das allerdings noch nicht. Denn es ist keinesfalls abzusehen, was das Regime mit den dreien vorhat; eine direkte Verhaftung am Gericht liegt zweifellos im Bereich dessen, was Hun Sen zuzutrauen ist. Wäre der Kopf der Oppositionshydra damit bis auf weiteres abgeschlagen?
Dennoch: Die Brutalität seiner Schergen kann die politische Gegenbewegung wohl nur noch eindämmen, aber nicht mehr aufhalten. Sein Volk hat ihm den Gesellschaftsvertrag – so es denn jemals einen gegeben hat – aufgekündigt. Hun Sen hat praktisch nur eine Chance: Er muss die Menschen am Wohlstand partizipieren lassen. Doch der geht zurzeit einzig für seine neureiche Kamarilla drauf, die ihn an der Macht hält. Hun Sen ist in der Zwickmühle: Das personalisierte System, das er virtuos aufgebaut hat und ihn zu einem der längsten regierenden Potentaten der Welt gemacht hat, lässt sich nicht reformieren, ohne das die fein austarierte Machtbalance nicht ins Wanken geriete. Und der Schlüssel zum Erfolg in einer durch und durch materialistischen Gesellschaft ist die (bestenfalls leistungslose) Bereicherung seiner Gefolgschaft. Nicht umsonst ist Kambodscha mittlerweile das korrupteste Land Südostasiens.
Übrigens: Das kambodschanische Wort für Korruption, puk ruloy, heißt wörtlich übersetzt morsches Holz. Dies bezieht sich auf allgemeine Zustände, beschreibt aber auch den Charakter von Menschen. Mal schauen, wie lange das morsche Holz dem Druck noch standhält. Was für die Opposition erst das Ende vom Anfang war, dürfte für das Regime eher der Anfang vom Ende sein. Wann? Irgendwann.
Hat dies auf Living in SouthEast Asia. rebloggt.
„Wann? Irgendwann“ – Sehr ernuechternde, pessimistische Aussage.
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