
Das Khmer Rouge-Tribunal kommt aus den Negativschlagzeilen nicht hinaus. Der hybride Strafgerichtshof verspielt zunehmend Legitimität und Glaubwürdigkeit, weitere Anklagen wird es nun höchstwahrscheinlich nicht mehr geben. (Foto: ECCC)
Von Anfang an war der Widerstand der kambodschanischen Regierung und der von ihr abhängigen Richterschaft gegen ihn am Khmer Rouge-Tribunal immens, eine erfolgreiche Zusammenarbeit schien schon vor Weihnachten utopisch. Daher ist es keine echte Überraschung, dass der Ermittlungsrichter Laurent Kasper-Ansermet, der erst im Oktober den umstrittenen Deutschen Siegfried Blunk abgelöst hatte, gestern seinen Rückzug zum 4. Mai verkündete. Dabei war der Schweizer von seinen kambodschanischen Kollegen formal gar nicht anerkannt gewesen, und das Verhältnis zu seinem nationalen Pendant You Bunleng glich schnell einer offenen Vendetta, die sprichwörtlich bis aufs Blut ausgetragen wurde. Letzterer hatte Kasper-Ansermet zuletzt „illegale Aktivitäten“ vorgeworfen und in einem Ultimatum verlangt, die Arbeit an der umstrittenen Fällen 003 und 004 einzustellen. Es überrascht daher keineswegs, dass selbst das Tribunal in der offiziellen Pressemitteilung (die ganz offensichtlich allein der Schweizer initiiert hat) von einer „dysfunktionalen Situation“ spricht. Weiter heißt es, dass eine „Situationsbeschreibung“ der Vorgänge am Gericht noch veröffentlicht werde, auch interne Untersuchungen aufgrund von externer Einflussnahme auf das Tribunal soll es noch geben.
Damit dürften weitere mögliche Anklagen endgültig vom Tisch sein. Kasper-Ansermet hatte zwar jüngst die Ermittlungen aufgenommen, doch seine Möglichkeiten wurden immer begrenzter. Erst in der vergangenen Woche wurde bekannt, dass das Budget der Ermittlungsrichter Mitte 2013 auslaufen werde, wodurch die Arbeit schon praktisch jetzt zum Scheitern verurteilt schien. Außerdem waren laut Radio Australia die Verträge seiner kambodschanischen Mitarbeiter, wahrscheinlich im Zuge der Budgetkrise, nicht erneuert worden, wodurch die Ermittlungen zusätzlich behindert worden waren. Kasper-Ansermet hat trotz hartnäckigen und aufrechten Widerstands den ungleichen Machtkampf verloren und daher einen nachvollziehbaren Schlussstrich gezogen – und damit im Namen der UNO indirekt auch die Fälle 003 und 004 endgültig aufgegeben.
Die Reaktionen auf den Rücktritt fielen gemischt aus. Aus New York ließen die Vereinten Nationen ausrichten, das Tribunal gebe anhaltenden Anlass zu „ernsthafter Sorge“, außerdem sei Kasper-Ansermet daran gehindert worden, „ordnungsgemäß und frei“ seinen Pflichten nachgekommen zu sein. Gegenüber der Phnom Penh Post äußerte sich Kasper-Ansermet ähnlich deutlich: Er sei in jeder Hinsicht blockiert worden, was klar illegal gewesen sei. Wie die Zeitung weiter berichtet, sei der Schweizer von seinen kambodschanischen Mitarbeitern geradezu sabotiert worden, selbst einfache Anordnungen wurden von seinen Untergebenen ignoriert. Den internationalen Mitarbeitern war sogar der Zugang zu den Archiven verwehrt worden, und auch das Dienstsiegel durften sie nicht mehr benutzen. Und was nicht überrascht: Der Antrag auf ein zweites Siegel wurde vom Innenministerium abgelehnt. You Bunleng, der unter Kambodschas Richtern bisher über eine relativ hohe Reputation verfügte, gilt in diesem Kleinkrieg jedenfalls als „alleiniger Entscheider“, behauptet aber, er habe mit seinem Schweizer Kollegen „niemals irgendeinen Disput“ gehabt.
Ob dieses unsäglichen, mit Hinblick auf die unvorstellbar grausamen Verbrechen wirklich an die Nieren gehenden Konflikts ist ein weiterer Höhepunkt im Fall 002 fast zur Nebensache degradiert worden: Folterknecht Duch war wieder im Gerichtssaal, um gegen seine ehemaligen Parteiführer Nuon Chea, Ieng Sary und Khieu Samphan auszusagen – übrigens erstmals nicht in zivil, sondern in blauer Häftlingskleidung. Am Montag berichtete er laut Voice of America vor allem über die Bürgerkriegszeit vor 1975, als er bereits das Gefängnis M-13 führte und in verschiedene Foltertechniken eingewiesen wurde. Am Dienstag identifizierte er Nuon Chea als einen seiner direkten Vorgesetzten als Lagerchef des berüchtigten S-21, der ihn laut RTE überaus abschätzig „verfaultes Holz“ nannte und „als Zeuge wertlos“ bezeichnete. Immerhin wurde er dafür vom vorsitzenden Richter Nil Nonn in die Schranken verwiesen.
Verfaultes Holz heißt in Kambodscha übrigens puk ruloy und kann auf den Charakter eines Menschen gemünzt sein. Landauf und landab ist der Ausdruck aber bekannt als Synonym für Korruption, und hier schließt sich der Kreis zu dem starken (Abschieds-)Wort von Laurent Kasper-Ansermet, der das Tribunal „dysfunktional“ bezeichnete. Denn es bedeutet schlicht und einfach, dass dieses Gericht und seine Richter dazu da sind, die Augen vor der Wirklichkeit der Verbrechen zu schließen, Aufklärung bewusst zu hintertreiben und Tatverdächtige vor Strafverfolgung zu schützen. Er hätte auch sagen können, dass das Tribunal durch und durch verfault ist.
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